„O, eine sterbende Liebe ist schöner als eine werdende.“
Eine Geschichte ohne Moral, jedoch keine amoralische Geschichte – so könnte man Büchners Lustspiel charakterisieren. Der Inhalt ist schnell erzählt: der Königssohn Prinz Leonce aus dem Reiche Popo soll auf Befehl seines Vaters die Prinzessin Lena aus dem Reiche Pipi heiraten. Doch Staatsraison hin, Staatsraison her, die klugen Königskinder wollen sich nicht in die arrangierte Ehe fügen und fliehen nach Italien. Der Prinz nimmt seinen Narren Valerio mit. Die Prinzessin, romantisch durch und durch, reist in Gesellschaft ihrer Gouvernante. Auf der Reise begegnen sich Leonce und Lena und verlieben sich ineinander, ohne sich zu erkennen.
Im Schloss ist alles für die Hochzeit vorbereitet. Gerade im rechten Augenblick kommen Leonce und Lena blickte maskiert heim. Valerio präsentiert sie als zwei Automaten. Da es unmöglich ist, den Willen des Königs nicht auszuführen, werden sie „in effigie“ (im Bild) verheiratet. Nach der Hochzeit demaskieren sich die beiden und erkennen erschreckt, dass ihre Flucht genau dahin geführt hat, wohin sie auf keinen Fall wollten. Wohl kaum ein „Happy End“.
Georg Büchner verfasste 1836 dieses Lustspiel, das gespickt ist mit satirischen Anspielungen und versteckten Boshaftigkeiten. Zahllose Zitate und Bonmots, oft auf dem Niveau von Platituden, beschreiben den Zustand der Welt auf höchst ironische Weise. „Büchner blickte in ein Nichts, aber er blickte tiefer als seine Zeitgenossen in ein Nichts“. Und er „…zeigt den ‚bürgerlichen Illusionsvorrat‘ politisch wie ästhetisch bereits erschöpft“, so Hans Joachim Rückhäberle.
Büchner war ein durch und durch politischer Mensch, getrieben von dem Hunger nach Veränderung. Ihm war klar, dass es im Deutschland der Kleinstaaterei zu einer sozialen Revolution kommen musste, die Arbeitern, Bauern und verarmten Bürgern eine führende Rolle im Staat verleihen sollte. 1834 gründete er die Gesellschaft für Menschenrechte und gab den Hessischen Landboten, eine Kampfschrift, heraus. Büchner musste fliehen, studierte Medizin in Straßburg und starb 1837 an Typhus, gerade 23 Jahre alt.
Leonce und Lena wurde erst knapp 60 Jahre nach Büchners frühen Tod im Privatpark des Redakteurs Holz als eine vom Münchner „Intimen Theater“ inszenierte Freilichtveranstaltung uraufgeführt.
Marcus Lobbes inszenierte jetzt Leonce und Lena an den Wuppertaler Bühnen. Wie schon bei seinen vorhergehenden Arbeiten dort (König Lear und Baumeister Solness) arbeitete er mit der Bühnenbildnerin und Ausstatterin Pia Maria Mackert zusammen.
Die Bühne zeigt eine mit weißen Möbeln à la Ikea eingerichtete Wohnung. Auf dem Fußboden stehen die Raumbezeichnungen. Im Laufe des Abends setzt sich diese Spielfläche immer mehr in Bewegung, wird immer schräger – so dass letztlich die Schauspieler und die Möbel nach vorne an die Rampe rutschen. Ein treffendes Bild für eine Welt, die immer haltloser, immer unsicherer wird; in der aber die Akteure in ihren künstlichen Attituden verharren. Die Kostüme sind grell-bunt und erinnern an Fantasy- und Manga-Comicfiguren. Prinz Leonce (Jakob Walser) mit gegelter Igelfrisur hat nur einen schwarzen Flügel – kein Superman. Lena (Hanna Werth) tritt ganz in rosa-weißem Mädchenoutfit auf, auch mit pinker Perücke, und spricht oft mit künstlich verstellter Kleinmädchenstimme. Valerio (Thomas Braus) – auch er ist eine Comicfigur mit grünem Panzer und orangefarbener Kunstfrisur.
Büchners Text zu Leonce und Lena ist ein Feuerwerk des Sprachwitzes, aber auch voller Poesie und philosophischer Anmerkungen. Das sehr gute Ensemble in Wuppertal bringt vor allem den Sprachwitz pointiert auf den Punkt. Auch wenn der Bezug zur Comicwelt nicht immer nachzuvollziehen ist (klar: Teenager wie unsere beiden Königskinder leben in ihrer eigenen Welt), so ist es doch ein witziger, vielschichtiger und glänzend gespielter Abend.