„Das Geschäft einer Frau ist die Ehe“ (George Bernard Shaw)
Ibsens Ehedrama ist heute so aktuell wie zur Zeit seiner Entstehung 1879, als es in Kopenhagen uraufgeführt wurde und heftige Debatten entfachte. Schauspielerinnen und Bühnenleiter verlangten damals ein Happy End. Man sah die heilige Institution der Ehe in Frage gestellt. Verlässt doch eine Frau ihren Mann und der Dichter verurteilte sie nicht dafür. Die Fragen, ob es sich bei der Ehe um einen Hort der großen Gefühle handelt oder ob sie mehr ein bürgerliches Arrangement, eine Gütergemeinschaft darstellt, sind nach wie vor gültig. Auch heute wird jede Beziehung immer wieder auf den Prüfstein gestellt. Welche Kompromisse sind nötig für ein Glück zu zweit, wie viel Wahrheit verträgt eine Ehe? Welchen Stellenwert haben Leidenschaft, Liebe, Vertrauen und finanzielle Sicherheit?
Nora und Torvald Helmer sind scheinbar ein glückliches Paar. Nach entbehrungsreichen und finanziell unsicheren Jahren steht Torvald vor seiner Beförderung zum Bankdirektor. Er versucht, seiner Frau jeden Wunsch zu erfüllen – ist sie doch die perfekte Gattin und liebevolle Mutter der drei Kinder. Alles wäre eitle Harmonie, drohte da nicht ein dunkler Punkt aus der Vergangenheit. Krogstadt, Helmers Jugendfreund und Mitarbeiter in der Bank, erpresst Nora mit einer gefälschten Unterschrift, die sie vor Jahren gab, um einen Kredit zu erhalten. Sie brauchte das Geld, um ihrem kranken Mann, der dieses Geschäft nicht gebilligt hätte, eine lebensrettende Erholungsreise in den Süden zu finanzieren. Krogstadt wurde von Torvald gekündigt, so dass er sich in die Enge gedrängt fühlt und Noras Geheimnis ans Tageslicht bringen will. Nora flüchtet sich in Lügen und sitzt zwischen allen Stühlen. Schnell kristallisiert sich heraus, dass hinter der Fassade der trauten Eheharmonie Existenzängste, Verdrängungen und Lebenslügen dominieren.
Tilo Nest inszenierte mit Nora seine zweite Arbeit an den Wuppertaler Bühnen. Im ersten Akt lässt Nest das Foyer als Heim der Helmers bespielen. Die Zuschauer sitzen auf Hockern fast mitten in der Weihnachtsstube. Lange Gänge rund um den Garten im Innenhof erlauben Auftritte und Abgänge, die – allein schon von der Körperhaltung her – oft ahnen lassen, in welcher Gemütsverfassung sich die Person befindet. Torvald geht ab und zu in sein Arbeitszimmer, wozu der Japanische Garten umfunktioniert wird. Hanno Friedrich überzeugt als energisch auftretender und sich wichtig gebender Business-Mann, korrekt mit Anzug, Krawatte und Aktentasche. Er behandelt sein „Eichhörnchen“ wie ein weiteres dekoratives Element der Inneneinrichtung seines Hauses. Juliane Pempelfort ist eine lebhafte, manchmal leicht trotzige Nora, die aber zunächst in ihrer untergeordneten Rolle als Ehefrau verharrt. Wichtig scheint nur das Geld zu sein, gerade in der Weihnachtszeit („Das erste Weihnachten, wo wir nicht sparen müssen“), immer wieder drängt die finanziell ungesicherte Vergangenheit sich als Thema in die Gedanken. Noras alte Freundin Kristine (Julia Wolff) ist mehr die lebenserfahrene und vom Leben nicht gerade verwöhnte Frau, die ihre Brüder allein aufgezogen hat und jetzt in Helmers Bank einen Job sucht. Schon optisch (Rucksack, Anorak) unterscheidet sie sich von der eleganten Nora. Lutz Wessel spielt Krogstadt, der verzweifelt mit allen Mitteln um seine Existenz und um einen Platz in der Gesellschaft kämpft.
Den zweiten und dritten Akt sehen wir in der dunklen Spielarena des kleinen Hauses. Die schwarze Spielfläche steht schräg, alle Akteure tragen uniform beigefarbene Kleidung. Die Schauspieler sprechen oft zum Publikum hin, das heißt sie vermeiden den Augenkontakt zum Gesprächspartner. Dadurch wird unterstrichen, wie die Fassade der ach so heilen Welt immer mehr Risse aufzeigt. Pempelfort macht die kräftezehrende Metamorphose zur immer eigenständiger werdenden Frau intensiv glaubhaft. Am Schluss klafft ein Abgrund zwischen ihr und dem fassungslosen Torvald. Offen bleibt, ob die Trennung des Paares unausweichlich war. Offen auch, ob diese Nora mit größerer individueller Selbstbestimmung und Freiheit ihr Glück finden wird.
Ein spannender Abend mit einem guten Ensemble und einer nach wie vor brisanten Thematik.