Wohnen. Unter Glas im Aachen, Theater

Gelb und klar

Zweifellos ist Ewald Palmetshofer einer der interessantesten Dramatiker der letzten zehn Jahre. Sein Thema ist „seine Generation“, die heute 40jährigen. Sein sogenanntes Alleinstellungsmerkmal ist seine Sprachverwendung. Er entnimmt der Umgangssprache kleine und kleinste Phasen und kombiniert diese zu künstlichen, kunstvollen, spiralförmig angeordneten Wortketten. Dagegen setzt er philosophische und/oder pseudophilosophische Exkurse. Das Ergebnis ist immer sperrig, aber stets hochpoetisch und vor allem gedanklich klar.

Die Story in Wohnen. Unter Glas, einem Stück aus dem Jahr 2006, das zur Zeit in der Kammer des Theaters Aachen aufgeführt wird, ist schnell erzählt. Babsi, Jeani und Max haben zu Studentenzeiten in einer WG gewohnt. Jahre danach arrangiert Jeani ein Treffen, man verbringt eine Nacht an der Hotelbar und tauscht alte, vor allem sexuelle Begehrlichkeiten aus. Am Ende verkündet Jeani ihre Hochzeit, eine Art Rückzug in die Polsterungen der Bürgerlichkeit.

Also fast keine Geschichte. Wie erzählt man die? Marion Schneider-Bast erfindet ein festes, sprachliches Gerüst, lässt teilweise chorisch sprechen, hat offenbar zumindest über einige Strecken Tempi und Lautstärken vorgegeben. Sie verlängert diese dichte Struktur in die Körpersprachen hinein. Ein plötzlicher Sprung kann sich genauso ereignen wie ein plötzlicher Ausdruck in eine Sprachkaskade. Der dauernden sprachlichen Stilisierung korrespondieren mehrere sehr charmante choreographische Passagen. Dennoch entstehen plastische Figuren, die verhuschte, immer noch suchende, aber bereits die Bitternis der zu kurz Gekommenen kultivierende Babsi; die attraktive, so lebens- wie repräsentationsgierige Jeani, der resignierende, athletische und impotente Schwafler Max. Schneider-Bast entwickelt aus der Statik dieser Figuren überraschend lebendiges Theater. Durch präzises, auch sinnliches, nur selten aufdringliches Spiel, entsteht tatsächlich eine Art Generationenbild. Da stehen Menschen, die nichts zu verlieren haben – weil sie gar nicht merken, wenn es weg wäre. Sie haben immer in Watte gelebt (oder, wie es im Text heißt, „unter Glas“), abgeschottet von ernsten, bedrohlichen Nöten und Problemen. Da ist der Ansporn gering, Ziele zu finden, sich „vertikal“ zu verändern, mit aller Macht einen „Zenit“ anzustreben, das Glas zu zerbrechen. Schneider-Bast hat in Wohnen. Unter Glas ein Managerspiel gefunden – klack, klack, klack usw. -, ein Kreisen um sich selbst, bis der Impuls („irgendwie links und so“) verläppert. Die Schuld ist zwischen Ich und Welt aufgeteilt. Aber das hilft nichts. Alle drei schaffen es nicht, wirklich die Verantwortung für ihr Leben zu übernehmen. Darin liegt eine, zumindest eine kleine, Tragik, die Johanna Falckner, Katja Zinsmeister und Tim Knapper souverän mitschwingen lassen vor Vesna Hiltmanns knallgelber Wand. Diese entschlossen grelle Farbe steht wie ein Fanal in der geordneten Wildnis von Stück und Aufführung und weist so poetisch wie lapidar darauf hin, dass ein Aufbruch Kraft braucht. Durch die Öffnungen in dieser Wand, die größte wirkt gar wie ein stilisierter Flügelaltar, sieht man auf einen Offshore-Windradpark. Dieses Bild verspricht Heutigkeit, Relevanz, begründete Zweifel. Die Aufführung löst diesen Anspruch ein.