Tatort Helsingör. Ein Polit-Krimi
Hamlets Vater, der König von Dänemark, ist auf mysteriöse Weise verstorben. Noch sind die Blumen auf seinem Grab nicht verwelkt, da heiratet seine Witwe, Königin Gertrud, dessen Bruder Claudius, der sich zum neuen Herrscher erklärt. Hamlet steht unter Schock und sinnt auf Rache. Der Geist des toten Vaters erscheint ihm nämlich und offenbart ihm, vom eigenen Bruder ermordet worden zu sein. Hamlet beschließt, auf eigene Faust zu recherchieren und streift, um dabei unerkannt zu bleiben, die Maske des Wahnsinnigen über.
Die Wahrheitssuche gestaltet sich schwierig. Handelte Claudius allein oder gab es Mittäter für diesen Staatsstreich? Welche Rolle spielte der Staatsrat Polonius, ein enger Vertrauter des neuen Königs? Sind Hamlets Studienfreunde Rosenkranz und Güldenstern so harmlos, wie sie scheinen? Haben sie keine eigenen Ambitionen?
Hamlet verstößt seine Freundin Ophelia, die Tochter des Polonius. In einer wahnwitzigen Theatervorstellung konfrontiert der Prinz seinen Onkel mit seiner Schuld, dieser gesteht daraufhin die Tat, allerdings nicht vor Zeugen. ein. Gertrud stellt ihren Sohn zur Rede, Polonius belauscht das Gespräch und wird von einem rasenden Hamlet irrtümlich getötet. Nun wird der Rächer selbst zum Gejagten.
Jan Klata inszeniert nach Schillers Räubern und Amerika nach dem Roman von Kafka eine recht eigenwillige Fassung des Dramas. Der polnische Regisseur, der im Sommer die wichtigste Bühne seiner Heimat, das Stary Teatr in Krakau, übernimmt, ist bekannt für kraftvolle Bilder, für die Einbindung von Popsongs. Die der Bochumer Inszenierung zugrunde liegende Textfassung verbindet die klassische Übersetzung von Schlegel und Eschenburg mit der aktualisierten Fassung von Zadek und Greifenhagen. Zitate aus Heiner Müllers Hamletmaschine ergänzen diese Spielvorlage.
Klata folgt durchaus Shakespeares Grundidee, fügt aber verschiedenste Zitate, Popsongs und ungewohnte Bilder in seiner Inszenierung ein. So lässt er gleich zu Beginn eine große Anzahl von Büchern auf die ansonsten – bis auf ein paar Barren – leere Bühne prasseln. Bücher, zu einer Art Mauer gestapelt, werden Ophelias Grab begrenzen. Am Anfang tanzen alle Beteiligten hektisch über die Bühne. Ophelia (Xenia Snagowski) hat wie Gertrud (Bettina Engelhardt) orange-rote Haare, die vor dem dunklen Hintergrund glühen. Ophelia gibt die Ballettmaus im schwarzen Tütü, die unermüdlich klassisches Ballett übt und sich von Hamlet an den Barren fesseln lässt. Rosenkranz (Roland Riebeling) und Güldenstern (Nicola Mastroberardino) – später auch die Totengräber – sind zwei Komiker mit Taucherbrillen und rosa Leggings, die dauernd kalauern, auch mal Reich-Ranicki imitieren und sich gern von Tür zu Tür verfolgen. Letzteres wirkt auf die Dauer etwas nervtötend.
Dimitrij Schaad ist ein jederzeit präsenter, bestechender Hamlet, der „wahnsinnig eitel“ ist, „es geht ihm nur um sich selbst“, so Dramaturg Olaf Kröck. Ein Hamlet, dessen Rachegedanken sich in seiner Selbstgerechtigkeit gegen alles und jeden richten. Ein Hamlet, der – als Zitat aus der berühmten Inszenierung von Peter Zadek (1977) mit Ulrich Wildgruber in der Hauptrolle – Wildgrubers Hamletmantel überzieht. Und noch ein Zitat: der Schädel des königlichen Spaßmachers Yorick erinnert, über und über mit glitzernden Steinen besetzt, an das berühmte Objekt von Damian Hurst.
Die Theaterszene, in der Hamlet seiner Mutter und dem Onkel ihre Schuld vor Augen führen will, wird bei Klata von ihm selbst und Rosenkranz und Güldenstern gespielt. Schnell artet sie zu einer Art Happening mit viel Schlamm- und Farbenspritzerei aus, was an die berühmte Macbeth-Inszenierung von Jürgen Gosch denken lässt. Dazu hören wir Bach und Rockmusik. Claudius (sehr gut: Andreas Grothgar) reagiert empört: „Aus, Ende der Vorstellung!... Was hat das mit Kunst zu tun?... pubertärer Dreck“.
Klata präsentiert uns einen fantasievollen, grell-bunten Bilderabend, der mit einer eindringlichen Szene abschließt: neben dem toten Hamlet sitzt Marcin Czarnik als Fortinbras, Prinz von Norwegen, und trägt auf Polnisch „Fortinbras Klage“ von Sbigniew Herbert vor, übersetzt von Horatio (Martin Bretschneider): „Leb wohl, Prinz….Dänemark ist ein Gefängnis…Heute Nacht wird der Stern Hamlet geboren.. was von mir bleibt wird kein Gegenstand einer Tragödie“.
Ein unbedingt sehenswerter Abend mit einem exzellenten Ensemble, der jedem Zuschauer Inspirationen geben müsste.