Clowns im Nirgendwo, irgendwie dazwischen
Endspiele finden jeden Tag bei uns oder den anderen statt. Das Endspiel erreicht die Politik, den Sport, die Kunst, die Kultur, die Gesellschaft, die Familie. Das Endspiel gilt als auch Brücke zum Tod, zum Nirgendwo. Und hier siedelt Samuel Beckett, einer der großen Meister des absurden Theaters der 50-er und 60-er Jahre des vergangenen Jahrhunderts, seine Figuren an, die eine Variante von Warten auf Godot sein können. Hamm und Clov, Herr und Diener, sowie Nagg und Nell als die schon fast vergessenen Eltern, spielen das Leben, das hinter ihnen liegt und das sie als verkrüppelte Geschöpfe gezeichnet hat. Hamm ist blind, Clov kann sich nicht mehr setzen. Sie sind abhängig voneinander. Clov, ein neuzeitlicher Arlechino und Mikro-Rebell, versucht immer wieder, sich aus der Abhängigkeit zu befreien. Ganz zuletzt bringt er erst die Kraft zu diesem entscheidenden Schritt. Das bedeutet Hamms Sterben.
1957 in London, dann in Berlin uraufgeführt, gilt das Endspiel als gnadenlose Abrechnung mit der menschlichen Existenz. Theater nach dem Atom-Supergau, nach einem dritten Weltkrieg, nach Hitlers Wahnsinnstat, die Millionen Menschen das Leben kostete, nach dem Tanz auf der Rasierklinge? Regisseur Stefan Ey verlegt in Dinslaken, das die kleinste Landesbühne in Nordrhein-Westfalen beherbergt und das schon einige durch Finanzen und Etatabschnürungen bedingte Krisen überstehen musste, den Beckett-Hit in eine Zirkusarena. Hamm und Clov sind Clowns, Narren, Harlekine, Wortverdreher und Situationsverfremder. Sie treiben ihren bitteren Schabernack und beziehen zuweilen die alte Generation als Bühne auf der Bühne mit ein.
Ey verzichtet durch diese Perspektive der Pappnase und der weißen Schminke auf die Ebene des historischen oder auch visionären Welt-Blackouts. Die Regie bezieht sich auf die ureigenen, anarchischen Gesetze des Theaters – Witz und „falsches“ Gelächter, Komik, Bosheit und Satire an der Grenze zum blanken Zynismus bestimmen die Szenen, in denen Beckett die Negativseiten des „homo ludens“ auslotet. Ein Spiel, viele Spiele als Notlage und Endzeit-Beklemmung – Beckett und Ey beharren auf den Gesetzen der totalen Abhängigkeit. Wie du mir, so ich dir…
Bemerkenswert sicher und gut kann Intendant Thorsten Weckherlin, der das Landestheaterschiff in relativ ruhige Etatgewässer gesteuert hat, diese grandiose Parabel besetzen. Carsten Caniglia als rigider Hamm und der von ihm ausgenutzte Clov von Daniele Nese bieten klassische Schauspielkunst. Lebhaft und erschütternd, schmerzlich und leidend, krakeelend und introvertiert – Caniglia/Nese buchstabieren das ABC-Wesen von Rollen auf den „Brettern“. Bis zur physischen Erschöpfung durchleben sie, sekundiert von den „Stichwortgebern“ David Zieglmaier (Nagg) und Lara Christine Schmidt (Nell), die Plünderung von Existenzen, vom Ausverkauf der Moral und deren Gesetze und Rituale. Sie sitzen und stehen „dazwischen“ – noch lebend, aber fast schon tot.
Es gab lang anhaltenden, starken Beifall in der bei der Premiere nicht ausverkauften Kathrin-Türks-Halle für das Regie-Team und erst recht für Carsten Caniglia und Daniele Nese als traurig-desolate Clowns, die ihren Beckett genau gelesen und daher auch verstanden haben.