Übrigens …

Alice's Dinnerparty im Köln, raum 13

Einladung an alle

Anja Kolacek und Marc Leßle, rührige Macher des Theaters Raum 13 in Köln-Mülheim haben eine monatlich stattfindende „Dinnerparty“ nach Alice im Wunderland aufgelegt, zu der wechselnde musikalische Gäste eingeladen werden – bei der nächsten Vorstellung am 19. April ist der großartige FM EINHEIT zu Gast. Die ausgefallene Spielstätte hat schon zahlreiche ausgefallene Premieren erlebt, (siehe hier).

Bei der Ankündigung der Premiere haben Raum13 jedoch nicht mit dem untypischen Kälteeinbruch Mitte März gerechnet, für die sie frohen Mutes mit „Fort mit dem Winter und: follow the white rabbit...“ warben. So originell die alte Industriebrache der Klöckner-Humboldt-Deutzer Motorenfabrik auch ist, für Theater im Winter eignet sich der große Maschinenraum nur bedingt, da kaum beheizbar. Auch die Einladung auf die Tanzfläche fiel den arktischen Temperaturen fast zum Opfer, aber immerhin gab es eine heiße wie köstliche Suppe für alle; auch die riesigen Heizstrahler halfen, manch kaltes Tanzbein wieder munter zu machen.

Alice in Wonderland, das 1885 erschienene fantastische Kinderbuch des britischen Schriftstellers und Mathematikers Lewis Caroll, ist unzählige Male übersetzt, verfilmt, als Bühnenstück oder per Song bearbeitet (wie The white rabbit von Grace Slick) und in anderen Werken zitiert worden. Nicht umsonst, denn hinter den harmlosen Kindergeschichten verbergen sich vielfältige gesellschaftskritische Botschaften. Carolls Werk war auch eine Antwort auf die damalige Orientierungslosigkeit des Menschen zur Zeit der Industrialisierung, so Marc Leßle zum Sujet. Daher liegt es nahe, den Stoff als Mobilé und Spiegel für ein Wunderland, ein besseres oder anderes Leben zu lesen, und ebenso nach Selbsterkenntnis und Selbstbestimmung, nach Fantasie und Wirklichkeit sowie nach den Spielregeln der und den Platz in dieser Gesellschaft zu fragen.

Alice, die Sängerin, Musikerin und hier erstmals Schauspielerin Lisa-Gwendolin Eichberger, kommt langsam von weit her aus ihrem Kinderland durch eine durchschaubare Trennwand in eine vollkommen andere Welt, in ein düsteres Szenario aus Stahl und Eisen, eine lange Bühne entlang der Wand mit Klettergarten, mit mehreren Spielzentren, vor der die warm eingepackten Zuschauer auf Würfeln sitzen. Bei ihrem Lauf durch die unbekannte Gesellschaft möchte Alice deren Regeln erlernen und Königin werden, sehnt sich aber gleichzeitig nach einem paradiesischen Garten fernab aller gesellschaftlichen Konventionen. Zunehmend wird sie unsicher, verliert den Boden unter den Füßen; ihre elementaren Fragen wie „Wer bin ich“, „Was soll ich wollen?“, „Wohin gehe ich?“, „Warum?“ finden kaum noch Antworten. Wahrlich keine Story mit happy end.

Über zweieinhalb Stunden und ohne Pause, trotz der Kälte nur dünn bekleidet, sang, deklamierte, tanzte und agierte Eichberger, blechtrommelte zu ihren Fragen und Verkündigungen – Grass lässt grüßen – und begleitete sich auf einem mobilen Keyboard selbst: eine tolle Präsentation ihrer blendenden schauspielerischen und sängerischen Fähigkeiten, ausdrucksstark, klar und sicher. Dazu der Sound von Hans-Joachim Irmler, dem ersten musikalischen Gast der Dinnerparty, seines Zeichens kreativer Kopf der Band „Faust“, die vor 30 Jahren den „Krautrock“ mit ins Leben rief; eine sehr spannende interaktive Begleitung der Handlung, die weiterhin noch durch das Duo LED unterstützt wurde.

Alice’s Fragen nach den Grenzen zwischen Fantasie und Wirklichkeit, Individuum und Gesellschaft verfolgten die rund 150 Zuschauer gespannt. Interpretieren kann man das Stück um das Wunderland vielfältig: Ob wir alle nach einem besseren Platz und Leben suchen, ob wir uns verbiegen und verdrehen müssen, um dann zu erkennen, dass es dieses Wunderland gar nicht gibt, dass es eine Illusion ist. Oder ob das Stück nicht einen geheimen Aufruf bereithält, sich selbst treu zu bleiben und das Wunderland in sich zu finden, wenn man es nur sehen und finden will.

Auch ist es ein Aufruf, im Hier und Jetzt zu leben, anstatt nur in Vergangenheit und Zukunft zu denken. Insgesamt ein bewegendes Stück, das zum Nachdenken animiert, obwohl oder gerade weil sich nicht alles auf Anhieb sofort erschließt; aber das ist ja bekanntlich auch das Spannende am Theater.

Fortan findet jeden dritten Freitag im Monat Alice’s Dinnerparty statt - Termine und Musiker für die folgenden Veranstaltungen finden sich im Netz hier