Cooles Schlurfen
Im ersten Drittel fehlt es ein bisschen an Energie. Da schlurfen die vom finnischen Meister des lakonischen Film-Melodrams Aki Kaurismäki inspirierten Figuren noch kraftlos über die leere Bühne, niedergedrückt von der Belastung zu arbeiten und zu leben. Natürlich gibt es Aufheiterungen. Bei dem Versuch, ein selbst genähtes Transparent zu entfalten etwa, verschwinden Robert Seiler und Thomas Hamm immer mal wieder in der Wand und wenn die kleine, alte Dame in Heilsarmeeuniform (Josephine Kühnast) mit einer Zigarette im Mund vom Damenklo kommt, ist sie in eine Qualmsäule gehüllt. Und natürlich gibt es die „Two Franks“. Karsten Meyer und Malcolm Kemp, stilecht als Leningrad Cowboys mit schwarzem Anzug und Betontolle, machen 90 Minuten lang Musik, mit coolen Songs, mit E-Gitarren, Mundharmonika und allerlei Schlagwerk.
Die Bühne des Aachener Theaters ist diesmal eine quadratische Fläche, denn auf der Hinterbühne sitzt ein gutes Viertel der Zuschauer. Als Malcolm Kemp mit einer Music-Box, die nichts tut als zu rauschen, ein Gitarrenduett spielt, nimmt Lichter ziehen vorüber Fahrt auf. Dazu kommt Sanja Radisic, Aachens Carmen und Brangäne, und zeigt sich von einer ganz neuen Seite. Sie trägt im Laufe des Abends mindestens sechs schrille Outfits und schmiert, schmeichelt und schnurrt in drei Sprachen hemmungslos ins Mikro. Irgendwann hat sich in dem immer charmanten Abend sogar etwas Handlung angesammelt. Dann platzieren Christina Rast und ihre Bühnenbildnerin und Schwester Franziska eine Wand auf die Bühnenmitte und organisieren 15 Minuten Spaß. Kaurismäkis Protagonisten, Kati Outinen und der lang verstorbene Matti Pellonpää, blicken lapidar von gerahmten Fotos ins Publikum. Man hört immer noch alles, sieht aber nur noch die Hälfte, ist überrascht, wenn auf der anderen Seite gelacht wird, freut sich auf den nächsten, der reinkommt, auf Bettina Scheuritzel und Felix Strüven, die eine Bank ausrauben und auf albernste Weise die Beute anbauen oder auf Robert Seiler, der seinen eigenen Mord bestellt hat und jetzt trotzdem weiter leben will. Dabei verfolgt ihn der Killer nur, um ihm zu raten, sich die Sache nochmal zu überlegen.
Das Ende ist – ganz Kaurismäki – zärtlich melodramatisch überhöht. Sanja Radisic setzt sich zwischen die „Two Franks“, die sie lange vermisst haben. Gleich darauf meldet sie sich zum „Zigaretten holen“ ab und singt vorher noch kurz und sanft Somewhere over the Rainbow.
In Kaurismäkis Film Ariel wird der Song auf Finnisch gesungen, ewig lang. Dazu fährt das große, weiße Schiff aus dem Hafen und bringt die verlorenen Seelen in ein besseres Leben.
Verlorenheit auf dem Theater funktioniert anders. Dennoch haben Christina Rast und ihr Ensemble aus Kaurismäkis Filmen einen interessanten, an vielen Stellen amüsanten und berührenden Theaterabend zusammengebaut, der allerdings oft ein wenig ziellos rüberkommt – und das vielleicht sogar, weil er zu direkt, zu symmetrisch konstruiert ist.