„Das Allerschönste auf Erden, das ist die herzliche Liebe“
Franz Molnárs (1878-1952) größter Bühnenerfolg ist bis heute seine Vorstadtlegende in sieben Bildern und einem szenischen Prolog. Bei der Uraufführung am 7. Dezember 1909 in Budapest fiel das Stück durch. Das bürgerliche Publikum verließ in Scharen den Zuschauerraum, geschockt von der Konfrontation mit dem Proletenmilieu auf der Bühne. 1913 kam es in Wien im Theater an der Josefstadt zur deutschsprachigen Erstaufführung. 1914 war die Deutschland-Premiere in Berlin und 1931 gelang Hans Albers ein großartiger Erfolg in der Rolle des Hutschenschleuderers Liliom, wie man in Österreich die Schiffschaukelassistenten nennt. Albers schuf einen neuen blonden Liliom mit Berliner Schnauze. Der berühmte Kritiker Alfred Kerr, eigentlich ein Molnár-Gegner, zollte dem Autor vollste Anerkennung: „Das ist etwas Unsterbliches. Wahr bleibt, dass dieser Macher hier … Wunderbares geschaffen hat“.
Die Geschichte des Vorstadt-Hallodris wurde ein fester Bestandteil des Repertoires deutschsprachiger Bühnen.
Liliom ist ein rauflustiger Weiberheld – und dennoch ab und an auch ein sanfter Mensch, der den brutalen Anmacher spielt. Einer, der die Regeln auf dem Rummelplatz, wo es auf dem Ringelspiel der Frau Muskat hoch hergeht, perfekt beherrscht: aggressiv und unverschämt, cool und lässig gibt er den Aufreißer. Als die Dienstmagd Julie ein Kind von ihm erwartet und er von der eifersüchtigen Frau Muskat hinausgeworfen wird, ist er zunächst grenzenlos glücklich über das Kind. Schnell aber werden ihm die Grenzen des ungewohnten Lebens zu zweit bewusst. Woher Geld bekommen, um die kleine Familie zu ernähren? Einen Hausmeisterposten, den Julie ihm vorschlägt, will er auf keinen Fall annehmen. So lässt er sich auf einen Plan seines zwielichtigen Freundes Ficsur ein. Sie wollen einen Geldboten überfallen. Das Ganze geht schief. Liliom begeht lieber Selbstmord, als ins Gefängnis zu gehen. Aus dem Fegefeuer darf er 16 Jahre später für eine Tag auf die Erde zurück, um seinen Lieben etwas Gutes zu tun.
Molnár beschreibt die Geschichte dieses Strizzis, der einen Raubmord plant, um für sein ungeborenes Kind Geld zu beschaffen, auf eine eigenartig gefühlvolle Weise. Liebe wird nicht als sanfter Zauber, sondern als unentrinnbares Naturgesetz dargestellt. „Liebe ist ein Gegebenes, gleich etwa der Schwere oder der Zentrifugalkraft“, so Alfred Polgar.
Die Regisseurin Christina Paulhofer lässt den Vorstadtmacho, der immer von seiner Haltung überzeugt ist („Man tut, was man tun muss“), auf einem Autoscooter arbeiten. Acht bunte Fahrzeuge drehen sich, krachen zusammen, geben Gelegenheit zum Knutschen und zur Anmache – alles dreht sich im Kreis so wie auch alle ständig nach dem Glück suchen. Florian Lange ist Liliom, ein Angeber in Jeans und mit einer Zigarette im Mund, keiner Auseinandersetzung aus dem Wege gehend. Ein überzeugender Star auf dem Rummelplatz. Und doch zugleich anrührend in seiner manchmal zärtlichen Liebe zu Julie (äußerst eindrucksvoll als Mädchen, das bedingungslos zu sich und seiner Liebe steht: Kristina Peters). Schockierend, wenn er seine Freundin schlägt, vielleicht, weil er mit seiner inneren Zerrissenheit und der Angst vor Verantwortung nicht zurechtkommt. Denn: Glück bedeutet in diesem Stück, so die Regisseurin, „heftige Gefühle bei jemand auszulösen“.
Auf dem Rummelplatz tummeln sich in der Bochumer Inszenierung vier Tänzer von der Urbanatix-Show, die umwerfende Street-Akrobatik vorführen – ein gelungenes Attribut zum Aspekt der Körperlichkeit und Sinnlichkeit, die in dieser Atmosphäre mitschwingen. Felix Rech spielt Ficsur. Zu Beginn zeigt er, allein auf der Bühne, einige Zaubertricks, ein vielversprechendes Bild in diese ganz und gar nicht bürgerliche Welt. Später gibt er den verschlagenen Kumpel, der dem etwas naiven Liliom zunächst das Traumland Amerika vor Augen führt („In Amerika muss keiner arbeiten“), um ihn für seinen Coup zu gewinnen. Dann nimmt er ihm skrupellos noch vor dem Überfall das noch nicht geraubte Geld beim Kartenspiel ab. Maja Beckmann als Marie, Julies Freundin, und ihr Verlobter und späterer Ehemann, der Beamte Wolf (Matthias Eberle), zeigen amüsant die Verwandlung zum spießigen Ehepaar. Daniel Stock ist Linzmann, der Besitzer des größten Fahrgeschäfts. Und zugleich derjenige (in goldener Jacke) – Gott? -, der Liliom im Himmel fragt: „Was haben Sie Gutes auf Erden getan?“ Eine schräg nach oben ansteigende Bühne vermittelt den Himmel ebenso einfach wie klar - ein Abend der starken Gefühle.