Wie geht es eigentlich Gott?
Wie geht es eigentlich Gott? So weit kann es nicht her sein mit Gottes Wohlbefinden, sind doch seine Kinder in Teil I der X Gebote-Trilogie der norton.commander.productions vor einem Jahr mit Hilfe der Psychologin Irm Hermann ausgebüxt und haben stundenlang mit fröhlichem Spott unzählige Variationen von Imagine there’s no heaven gesungen (siehe hier).
Tatsächlich: Zu Beginn von Teil II ist der einstmals etwas durchgeknallte Kreuzritter-Kommandant, ist also Gott der Herr alias Hermann Beyer ganz zahm geworden. Der Volksbühnen-Star sitzt jetzt selbst bei der Psychologin und lässt sich von seinen Depressionen heilen. Das hat den dramaturgischen Vorteil, dass die norton.commanders in einer Rückblende noch einmal an die Geschehnisse aus ihrer ersten Gebote-Show erinnern können. Wer als Zuschauer Wiederholungstäter ist und schon vor einem Jahr dabei war, freut sich, denn das war doch ganz unterhaltsam und von intelligentem subversivem Humor damals…
Bis hierher geschieht dies alles in einer filmischen Darstellung, denn Hermann Beyer und Irm Hermann wandern nicht mit von Hellerau über Frankfurt und Wien in die Düsseldorfer Altstadt. Um es vorwegzunehmen: Teil II erreicht nicht annähernd die Variationsbreite und den Phantasiereichtum der ersten Folge. Ganz amüsant ist es, wenn Gott sich in der Entenhausener Villa von Dagobert Duck mit dem etwas mephistophelisch anmutenden Hausherrn darüber streitet, wer von beiden denn wohl das größere Vermögen besitzt. Nicht Gott, sondern Dagobert kommt etwas unvermittelt auf den Gedanken, dass doch eigentlich mehr die ideellen Werte zählen – Gott stutzt und stimmt ihm ohne rechte Überzeugung zu. So’n Quatsch, oder? Gibt es Dagobert Duck überhaupt? Existiert der etwa wirklich?
Das fragen sich die fünf Performer auch. Nicht in Bezug auf Dagobert, sondern in Bezug auf Gott. Sie untersuchen die Frage nach der Existenz Gottes, und sie tun dies in sieben Stufen anhand von sieben Kriterien: Vernunft und Logik, Wissenschaft, Sinn und Glaube, höherer Zweck und anderen Kriterien mehr bis hin zu Stufe bzw. Kriterium 7, der Moral. Die begnadeten Collageure bauen dabei eine heillose Mixtur aus philosophischem Gedankengut und Banalitäten, aus teils recht abenteuerlichen, die Aussagen von sechs der zehn Gebote berührenden privaten Episoden und Schauer-Balladen zusammen. Wenn Herders Dein Schwert, wie ist’s von Blut so rot oder Gustav Schwabs Das Gewitter mit viel Hall und Pathos in voller Länge rezitiert werden, kommt spookige Atmosphäre auf; aus der riesigen (Vinyl-)Plattensammlung, die auf angeblich 50 Plattenspielern in dem Hörsaal-Plattenlabor abgespielt werden, das das Bühnenbild darstellt, hören wir aber auch Fetzen aus Heinz Erhardts Verhohnepipelung des Schwab-Gedichts. Reflexionen über die Tötungsmaschinerie im Dritten Reich wechseln unmittelbar ab mit Anekdoten über die Mitgliedschaft der Oma im Oberneuländer Mandolinenorchester; immer wieder gleiten die philosophischen oder moralischen Fragen, anhand derer die Frage nach der Existenz Gottes verhandelt werden soll, in solch banale Erzählungen aus der eigenen Biographie ab, in, wie es einmal in der Aufführung heißt, „bewussten Dilettantismus“.
Da steckt eine Menge Kreativität drin, da wird um die Ecke gedacht, da paart sich großer Humor mit durchaus aggressiver Religionskritik. In einer der interessantesten Passagen wird die Frage aufgeworfen, warum Gott eigentlich meine, „Moral mit der Peitsche einprügeln“ zu müssen: Gott begreife eben nicht, dass es durchaus intrinsische Motive für moralisches Handeln geben könne; er glaube, moralisches Handeln gebe es nur aus Eigeninteresse, und daher müsse er mit der Androhung von Strafen arbeiten. Weitergedacht, könnte diese Überlegung zu Fragen von Strafvollzug und Resozialisierung, zu gesellschaftspolitischen Leitbildern und zu Fragen der Wirtschaftsethik und der Ordnungspolitik führen – Gott jedenfalls hatte – wir erinnern uns - zu Beginn einen turbokapitalistischen Disput mit Dagobert Duck geführt, und von den Performern aufgezeigte Statistiken scheinen eine positive Korrelation zwischen dem Besuch eines katholischen Gymnasiums und einer späteren erfolgreichen beruflichen Karriere nachzuweisen.
Das alles klingt nach einem erneuten unterhaltsamen, intelligenten und subversiven Abend. Zumindest in Bezug auf die Unterhaltsamkeit muss man diesmal jedoch arge Abstriche machen. Nachdem die anfängliche Retrospektive auf den ersten Teil und die filmische Fortsetzung in Entenhausen vorüber sind, werden die sieben Stufen der „Untersuchung“ künstlerisch in sich ständig wiederholender Form absolviert. Nicht immer ist es leicht, den Gedankensprüngen der Regie und der Performer zu folgen; manchmal wird die Collage zur Überforderung. Manches Mal scheint das zwanghafte Bemühen um Originalität Selbstzweck zu sein, so dass die Aussage darunter leidet – wobei der Aufführung zugute gehalten werden muss, dass sie nicht immer eine verbindliche Aussage treffen will, sondern Schlussfolgerungen oft dem Zuschauer überlässt. Mit zunehmender Dauer des Abends nervenzerfetzend ist die Kakophonie von den 50 Plattenspielern. Die nämlich spielen nicht nur witzige assoziative Musiktitel zu den verschiedenen Diskussionspunkten, sondern vor allem Störgeräusche, unentwirrbares Stimmengewirr, Kratzen, Knacken, Knarzen. Dann sehnen wir uns nach dem „Imagine“-Medley von vor einem Jahr. – Der Beifall bei der Düsseldorfer Premiere im gut gefüllten Juta war freundlich, aber enden wollend.