König Lear
König Lear ist eines der dunkelsten Stücke Shakespeares. The Tragedy of King Lear wurde am Hofe Jakob I. 1606 uraufgeführt.
Lear, der König von Britannien, ist alt und will sein Reich an seine drei Töchter verteilen. Den größten Teil soll die Tochter erhalten, die ihn am meisten liebt. Die beiden Älteren, Goneril und Regan, überbieten sich in Schmeicheleien, nur Cordelia, die Jüngste, ist hierzu unfähig: „Ich lieb Euer Hoheit, wie’s meiner Pflicht geziemt, nicht mehr, nicht minder“.
Der Vater, enttäuscht von dieser Antwort, enterbt und verstößt sie. Bald jedoch muss er erkennen, welch Irrtum er begangen hat. Den Zuschauern ist dies von Anfang an klar. Wir lernen in den folgenden Bildern diesen alten Mann, der uns zunächst so blind und stupide vorkam, ganz anders kennen. Er muss schmerzlich lernen, was es heißt, ohne Macht zu leben. Aus einem Tyrannen wird ein Mensch, der bereit ist, zu „sagen, was wir fühlen und nicht, was sich gehört“.
Worum geht es in dieser Tragödie? S. Brandt bringt die Thematik in „Das Narrenschiff“ auf den Punkt:
„Ein Narr, wer teilt den Kindern aus, womit ein Lebtag er hielt haus, verlassend sich auf frommen Wahn, daß sich das Kind nähm seiner an. Das Kind wünscht täglich ihn nur tot, der Vater wird ihm bald zur Last und ein nicht gern gesehener Gast“.
Matthias Gehrt hat König Lear am Theater Krefeld inszeniert. Die Produktion konzentriert sich – nicht nur vom Plot her – auf Lear bzw. auf Joachim Henschke, seit 1997/98 Ensemblemitglied des Gemeinschaftstheaters. Wir erleben ihn zu Beginn des Abends als despotischen Herrscher, der, von seiner Macht überzeugt, keinen Widerspruch duldet, weder politisch noch privat. Lässig sitzt er auf seinem Thron (hier ein Ledersessel). Die Bühne ist fast leer bis auf einige Stühle und eine große Säule im Hintergrund. Der mit Torf bedeckte Boden wird zunächst von einem weißen Papiertuch verdeckt, das im Laufe der Handlung immer mehr zerrissen wird und sich auflöst. Ein eindrucksvolles Bild der trügerisch heilen Welt zu Beginn, die zugrunde geht. Lears Töchter, das sind Goneril (Marianne Kittel), Regan (Johanna Geißler) und Cordelia (Helen Wendt, sie spielt auch den Narren des Königs). Paul Steinbach überzeugt als Kent, als treuer Gefolgsmann Lears. Cornelius Gebert fällt besonders positiv als böse-intriganter illegitimer Sohn Edmund des Grafen Gloster auf. Im sehr britischen Outfit eines Collegeboys (graue Tuchhose, gestreifte Krawatte, blauer Blazer mit „Schoolbadge“) erscheint er mit Unschuldsmiene und bezieht das Publikum verschwörerisch in seine dunklen Pläne, die seinen Bruder Edgar zu Fall werden bringen („Wenn nicht durch Geburt, verschaff ich mir meine Ländereien durch Verstand“).
An diesem Abend wird viel deklamiert, insbesondere von Henschke. So zum Beispiel, wenn er, der von den grausamen Töchtern vertriebene Vater, sich im Sturm auf der dunklen Heide wiederfindet. Beleuchtet von einem Scheinwerfer, steht der vom Schicksal Gebeutelte da, mit ausgestreckten Armen – es regnet und blitzt und donnert – und zitiert die bekannten Worte: „Hier ist ein Mensch, an dem man gesündigt hat“. Zu häufig lässt die Regie diesen Schauspieler den Text eher zelebrieren. In ruhigen Phasen gelingt es Henschke durchaus, den Wahnsinn, der ihn zusehends ergreift, intensiv zu vermitteln.
Bewegend die auch wieder ruhigere Szene, wo Edgar (Ronny Tomiska), der verstoßene Sohn, als Bettler Tom sein Leben fristet. Und dabei unerwartet auf seinen geblendeten Vater (Bruno Winzen) stößt. Dieser erkennt ihn nicht und bittet ihn um Führung zu den Klippen von Dover, um seinem Leben ein Ende zu setzen. Tomiska beherrscht die leisen Töne hervorragend – anrührend sein liebevolles Bemühen, den Vater zum eigenen Wohl zu täuschen.
König Lear, ein aktuelles Stück. Wie geht man mit dem Alter um? An wen gibt man seine Macht, sein Wissen weiter? Wie wird man mit der Todesnähe fertig, ist doch Lear ein Sterbender? Das alles sind brisante Fragen, mit denen sich jeder einmal konfrontiert sieht. In Krefeld blieb der intensive Nachhall zu diesen existenziellen Problemen aus.