Übrigens …

Kurze Interviews mit fiesen Männern im Bochum, Schauspielhaus

Szenen aus einer Welt, die aus den Fugen geraten ist

David Foster Wallace, 1962 in einer Kleinstadt in Illinois geboren, war schon zu Schulzeiten ein Überflieger. Die Studien in Englisch, Philosophie und Mathematik schloss er mit Bravour ab. Wallace‘ gefeierter erster Roman Infinitive Jest (Unendlicher Spaß), 1966 in den USA publiziert, enthält autobiographische Details und viele popkulturelle Anspielungen und ist nach Meinung des Autors auch als „überdimensionierte Anmachmaschine“ zu verstehen. Wallace, der zu den einflussreichsten Schriftstellern seiner Generation gehört, litt schon zu jener Zeit unter depressiven Schüben.
1999 erschien seine Geschichtensammlung Kurze Interviews mit fiesen Männern, aus dem die junge Regisseurin Monika Gies in ihrer ersten Regiearbeit ausgewählte Texte auf die Bühne des Theater Unten brachte.

Der Erzählband Kurze Interviews mit fiesen Männern enthält nur Geschichten, die um Personen kreisen, deren Welt aus den Fugen geraten ist. Sie bleiben namenlos, sind austauschbar und flüchtig. In u.a. 18 fiktiven Interviews mit fiesen Männern, die mehr psychologische Fallstudien und Berichte aus einem tristen Leben sind, werden die Fragen ausgeblendet. Es sind Monologe, die gleichzeitig glaubwürdig und dann doch wieder absurd klingen. Diese – absolut nicht sympathisch gezeichneten – Männer beschreiben in erster Linie ihre sexuellen Beziehungen zu Frauen, wobei tief liegende Ängste immer wieder durchschlagen, obwohl sie sich Mühe geben, selbstbewusst zu erscheinen.

In der dichten, packenden Bochumer Inszenierung, die ideal in den intimen Rahmen des Theaters Unten passt, lernen wir drei Männer und eine Frau kennen. Therese Dörr ist die junge Frau eines Devisenhändlers, die nüchtern versucht, den Problemen des ehelichen Liebeslebens auf den Grund zu gehen. Ihre Reflektionen über die verschiedenen Sexualtechniken und warum sie ihren Mann nicht befriedigen kann, erinnern in ihrer neutral-analytischen Art fast an eine Kochrezeptbeschreibung. Sex als Hochleistungssport? Erotik und Gefühle spielen kaum eine Rolle.
„Ein-Arm-Johnny“ ist ein junger Mann, dessen linker Arm missgebildet ist und wie eine Flosse aussieht. Dimitrij Schaad glänzt als Behinderter, der sein körperliches Manko zur Geheimwaffe umfunktioniert, mit der er sein „Aufreißerprogramm“ durchzieht. Anschaulich spielt er die verschiedenen Phasen durch, mit denen er jede Frau über die Mitleidstour früher oder später ins Bett bekommt.
Henrik Schubert unterbreitet uns eine detaillierte Beschreibung der Arbeitswelt seines Vaters, der, „ganz in Weiß“, Klomann in der Herrentoilette im ersten Hotel am Platz war („Ihm oblag es, da zu sein, als ob er nicht da war“). Böse-realistisch beschreibt er die mit seinem Job verbundenen oft ekligen Aufgaben, erschafft ein äußerst plastisches Bild dieses Arbeitsplatzes („Gestöhn der Prostatadiplomaten“).
Marco Massafra macht mit seinem Monolog einen Schnitt. Schon mit der einleitenden Frage „Was war eigentlich mit dem Holocaust?“ wird dies klar. Stets lächelnd und mit freundlicher Nachsicht adressiert er das Publikum. Und stellt dabei die abstruse Hypothese auf, dass jeder grausame Akt, so auch die brutale Erfahrung einer Vergewaltigung einer Frau, nur Nutzen bringen kann, ist das Opfer dann doch „mehr Mensch“, hat mehr Freiheiten als je zuvor: „Ihr Verständnis davon, was sie ist und was sie ertragen kann, ist gewachsen“. Massafra animiert die Zuschauer, sich am Rande der Spielfläche aufzustellen, während er entspannt und locker von der ersten Zuschauerreihe aus doziert.

Gies inszeniert diese „Gruselgeschichten“ mit Distanz und ziemlich kühl. Die Zuschauer werden zu Voyeuren, die sich dem exzellenten Spiel der vier Darsteller kaum entziehen können. Eingestreute Lieder und kurze Partyszenen bieten geschickt kurze Pausen vor dem nächsten Bekenntnis.

Ein unbedingt sehenswerter Abend!