Übrigens …

Kasimir und Karoline im Schauspielhaus Düsseldorf

Szenen von Lust, Liebe und Leid, und unserer schlechten Zeit

Achterbahnfahrt, Hippodrom und Budenzauber bestimmen den Rummelplatz, den Ort, an dem Ödön von Horváths Stück angesiedelt ist. Paare und Passanten wollen sich amüsieren. Es sind filmschnittartig montierte Sequenzen von einem Abend auf dem Oktoberfest: ein Panoptikum menschlicher Abgründe und Sehnsüchte, keine Milieu-, eher eine Bewusstseinsstudie. Horváths Zeit: 1932, die hochbrisante Phase kurz vor der Reichstagswahl 1933, eine Zeit der Wirtschaftskrise und der Massenarbeitslosigkeit.

Der Chauffeur Kasimir ist gerade arbeitslos geworden. Er geht mit seiner Freundin Karoline zum Oktoberfest, die trotz allem ihr Vergnügen will. Es kommt zum Streit. Erlebnishungrig stürzt sich Karoline in den Rummel und flirtet mit dem Zuschneider Schürzinger. Die „alten Kameraden“, der Oberkommerzienrat Rauch und der Landgerichtsdirektor Speer, wittern „Frischfleisch“ und laden Karoline ein, die sich in den besseren Kreisen scheinbar gut aufgehoben fühlt. Kasimir verliert mit seiner Liebesbeziehung den letzten Halt und betrinkt sich mit dem Kleinkriminellen Merkl Franz.

Ödön von Horváth, 1901 im damals österreichischen Fiume als Sohn eines Diplomaten geboren, beobachtete genau, wie Menschen reden, wie Menschen sich bewegen. Seine Intention formulierte er so: „Ich habe kein anderes Ziel als dies: Demaskierung des Bewusstseins“. Seiner Meinung nach phantasiert das Theater für die Zuschauer und diese erleben auf der Bühne gleichzeitig auch die Produkte ihrer eigenen Phantasie. Phantasie ist für Horváth ein Ventil für Wünsche. So findet der Theaterbesucher zugleich das Ventil für seine Wünsche oder Triebe wie auch die Befriedigung dieser.

Soweit Horváth. Der Düsseldorfer Hausregisseur Nurkan Erpulat bat die Autorin Marianna Salzmann, eine Überschreibung von Horváths Stück vorzunehmen. Warum? Erpulat spricht von der bedrohlichen Atmosphäre, die bei Horváth unter der Handlung läge und führt aus: „Auch in Düsseldorf spüre ich ein neues starkes Selbstbewusstsein…..Ich finde es unreflektiert und deswegen möchte ich über diese Unreflektiertheit reflektieren“.
Salzmann hat von Horváth lediglich die Grundidee – Frau verlässt Mann, weil er arbeitslos ist und sie sich etwas Besseres suchen will – übernommen. Die Zeit liegt im Hier und Heute, Das Oktoberfest wurde gegen die Düsseldorfer Rheinkirmes ausgetauscht. Der Kommerzienrat wird zum Vorstandsvorsitzenden einer Fluggesellschaft, der Zuschneider mutiert zum Marketing-Fachmann in dessen Firma. Hinweise auf den aktuellen Fortuna-Abstieg und die Rotlichtszene in Düsseldorf verstärken sicherlich den lokalen Bezug, der den Regisseur interessiert – ebenso wie die zeitbezogene Konversation mit coolen Sprüchen („Fressen, saufen, ficken, das ist Menschenrecht“, sagt Merkl Franz). Die oft poetische Sprache Horváths, seine Dialogkunst, seine Fähigkeit, das von Phrasen besetzte Bewusstsein seiner Figuren in ihren Reden sichtbar zu machen – all das geht bei dieser Neufassung des Stückes verloren. So dass kaum etwas von Horváth übrig bleibt.

Was sehen wir? Das Verhalten der Menschen auf der „größten Kirmes am Rhein“ in der Gegenwart. Der Chef einer Fluggesellschaft (exzellent: Rainer Galke) eröffnet das Volksfest mit einer Imitation des hiesigen Bürgermeisters – schwafelig mit Lobliedern auf Düsseldorf, auf die Kirmes. Gut sein Auftreten als wendiger Politiker, aber viel zu lang , viel zu abschweifend seine Rede, die nichts mit Horváth zu tun hat, so zum Beispiel der Exkurs zur Bedeutung der Schützen für die Brauchtumspflege. Taner Sahintürk gibt den Merkl Franz aggressiv-brutal. Ein überzeugend guter Schauspieler sicherlich – doch was haben seine hasserfüllten Tiraden über das größer werdende Ozonloch die wachsende Angst vor Fremden in unserer Gesellschaft mit der ursprünglichen Geschichte zu tun? Das gilt auch für die nachzuvollziehenden kritischen Ansätze zur Situation von Schauspielern und Mitbürgern allgemein mit „Migrationshintergrund“, die der türkischstämmige Regisseur zu seinem Anliegen macht. Fragwürdig die schlechte Hamlet-Parodie, die in dieser Produktion die Abnormitätenshow des Originalstückes ersetzt. Den Sinn dieses Verweises auf den missglückten Einstand des inzwischen zurückgetretenen Intendanten Holm lässt sich nicht nachvollziehen. Berührende Momente, wenn Kasimir (Till Wonka) und Karoline (Mareike Beykirch) allein auf der Bühne sind. Leider sind sie an diesem Abend eher Nebenfiguren. Christian Ehrich spielt den Transvestiten Juanita. Immer wieder trägt er Songs vor wie „Such a perfect day“ oder ein kölsches Stimmungslied. Ein kontinuierliches Element, das dem Abend gut tut.

Zwischendurch geht im Zuschauerraum das Licht an und Taner Sahintürk fragt das Publikum in provozierendem Ton, was sie verdienen, wie viel ihre Karte gekostet hat, wer denn Lehrer sei – was in der zweiten Vorstellung nicht gerade zu heftigen Reaktionen führte und was wiederum mit dem eigentlichen Thema nichts zu tun hat.

Einer Neuinterpretation eines so überzeugenden Stückes wie „Kasimir und Karoline“ steht nichts im Wege. Höchst unglücklich nur, wenn dabei der Ursprungstext so stark gekürzt bzw. verändert wird, dass von dem eigentlichen Werk fast nichts übrig bleibt.