Graue Väter, graue Söhne
Drei Shakespeare-Stücke in gut drei Stunden, extrem verknappt also, aber klar erzählt von Tilman Knabe auf grauer, angeschrägter Einheitsbühne. Der Regisseur, bekannt für außergewöhnliches Theaterhandwerk und deutlich ausformulierte politische Haltung genauso wie für einen Hang zu kruden Provokationen, fokussiert die Handlungen auf Konflikte zwischen Vätern und Söhnen, auf den Druck durch Macht- und Erbansprüche, die nicht selten das Humane zum Verschwinden bringen.
Heinrich IV., selber durch Ambition und Gewalt auf den Thron gelangt, verzweifelt an seinem Sohn gleichen Namens, der sich in Kneipen rumtreibt und die Gesetze nicht immer achtet. Dabei ist die Krone in Gefahr durch Rebellion. Das bringt den jungen Heinrich zur Räson. Er bewährt sich im Kampf und als sein Vater stirbt, fühlt er sich an dessen letzten Willen gebunden, der lautet: Frieden im Land bewahren durch Aggression nach außen. Folglich führt Heinrich V. Krieg gegen Frankreich, gewinnt gegen große Übermacht die Schlacht von Azincourt und heiratet die französische Königstochter.
Das alles zeigt Tilman Knabe distanziert, wie abgezirkelt, mit wummernder klassischer Musik zwischen den oft sehr kurzen Szenen. Er führt die Schauspieler klar und zielbewusst. Michael Witte zeigt einen durch Schuld deformierten und angegriffenen und daher gnadenlos durchregierenden Heinrich IV., Martin Hohner seinen Sohn, erst mit der Schönheit des Erkennens und Erwachsenwerdens, dann mit der Blässe des Machtmenschen.
Die Eigenheiten, die speziellen Schönheiten der, zugegeben, alt gewordenen Stücke, ignoriert Tilman Knabe komplett. Dieser Eindruck wird verstärkt durch die Wahl der in diesem szenischen Umfeld seltsam linkisch wirkende Schlegel-Tieck-Übersetzung, die nur an wenigen Stellen durch sprachliche Modernisierungen ergänzt wird.
Heinrich V., das letzte Stück, ist eigentlich ein durch einen Erzähler und die charismatische Titelfigur zusammengehaltener, historischer Bilderbogen. Knabe illustriert zwar Shakespeares Franzosenklischees, lässt sonst aber keine Farbe zu – und keine Herzlichkeit. Das gilt in noch stärkerem Maße für den ersten Teil von Heinrich IV. (der zweite Teil erscheint nur als gut 30minütiger Digest). Dieser Theatertext lebt von seiner ungewöhnlich symmetrischen Konstellation, die nicht nur Palast und Pinte einander gegenüberstellt. Der junge Heinrich hat in dem Rebellen Percy einen gleichaltrigen Gegenspieler, der sich komplett durch Kampf und Ruhm verwirklicht. Dem König ist der fetter Hedonist Falstaff gegenübergestellt, eine Art väterlicher Freund des jungen Heinrich, der an dessen Liebesentzug stirbt. Dieser Falstaff ist eine echte Renaissance-Figur, die sich, intelligent und lebensfroh wie sie ist, fast automatisch gegen ein auf Macht basierendes gesellschaftliches System stellen muss. In Tilman Knabes Zugriff bleibt nur eine rätselhafte, ins rein negative kippende Ungebundenheit. Und selbst die wird ständig relativiert. Henry Meyer spielt einen charmant dreckigen Kraftkerl im Pelzmantel, der den Fatsuit eher gnadenhalber umgeschnallt hat – und kommt gegen die ihm von der Regie auferlegten Beschränkungen nicht an. Auch der bizarre Auftritt des Waliser Rebellenführers Glendower (Peter Waros) wird auf Subtilität hin eingedampft und verliert so jeden Unterhaltungswert. Nur den wenigen Frauenfiguren billigt der Regisseur menschliche Gefühle zu. Er verordnet ihnen Schlichtheit, so dass sie gelegentlich allein gelassen wirken – nicht nur von den Männern, sondern auch vom Regisseur.
Dennoch stellt die Aufführung dem Ensemble der Oberhausener Bühnen ein hervorragendes Zeugnis aus. Neben den Genannten hervorzuheben sind Hartmut Stanke - sein Westmoreland ist nicht nur der ewig versehrte Diener der Macht, sondern auch das Ruhezentrum der Aufführung -, Klaus Zwick als derber und loyaler Saufbruder Poins und vor allem Torsten Bauer, der gleich drei Figuren, dem Rebellen Worcester, dem loyalen Warwick und dem französischen König, scharfes Profil verleiht.