„Hier klebt mein Scheitern an jeder Straßenecke“
Azar Mortazavi, Jahrgang 1984, ist die Tochter eines Iraners und einer Deutschen. Sie studierte kreatives Schreiben und Kulturjournalismus in Hildesheim und gewann mit ihrem ersten Werk Todesnachricht den Else-Lasker-Schüler-Stückepreis.
Ihre zweite Arbeit Ich wünsch mir eins wurde zu den Mülheimer Theatertagen eingeladen. Die Autorin beschäftigt sich in diesem Stück mit dem Thema „Fremd im eigenen Land“, weiß sie doch aus eigener Erfahrung um das Fremdfühlen als Deutsche in Deutschland. Die Hauptfigur ist Leila, die sich sehnsüchtig ein Kind wünscht, das sie lieben kann und das ihre Gefühle erwidert. Ihre eigene Biographie ist trübe. Ihr Vater kaufte ihr einmal zehn Kugeln Eis und verließ sie dann. Die Mutter erwartete, dass sich das Kind still verhielt, „wenn sie ihre Kerle mitbrachte“. Leila fühlt sich einsam und verlassen, träumt von einer Rückkehr mit dem verschollenen Vater nach „Arabien“, nach Hause. Wobei „Arabien“ nicht ein genauer geographisch zu verortendes Land ist – eher eine Art geträumtes Paradies, in dem Leila sich geborgen im Schoße einer Familie sieht.
Getrieben von ihrem Kinderwunsch, spricht Leila in einer Bar George, einen älteren Mann mit Bindungsängsten, an. Es entwickelt sich eine seltsame Beziehung. Immer wieder taucht sie bei ihm auf und bettelt darum, neben ihm einschlafen zu dürfen. George schwankt zwischen Depression und Selbstmitleid einerseits und Momenten, in denen er meint: „endlich wieder eine Frau im Haus“. So schlafen sie immer wieder zusammen und danach fordert er sie brüsk auf, zu gehen. Deutlich seine Aussage, er hätte ihr nichts zu geben. Glaubhaft aber auch, wenn er kurzfristig überlegt, ob es zu spät sei, „den Staub aus seinem Leben zu putzen“.
Leilas Nachbarin Sybille hat ein Kind von einem „Scheißaraber“, der abgehauen ist. Der Junge nervt sie, sie fühlt sich überfordert. Leila fühlt sich mit dem Jungen verbunden, sind sie doch „beide nicht von hier“. Schließlich taucht Sahid auf, Leilas Vater und – ein schon arg konstruierter „Zufall“ – der des kleinen Jungen. Und zudem noch ein alter Kumpel von George. Leilas Hoffnung, mit Vater und Halbbruder endlich in der fernen Heimat Wurzel schlagen zu können, erfüllt sich nicht.
Annette Pullen hat das Stück glücklicherweise ohne folkloristischen Touch und auch nicht als sozialrealistische Fallstudie inszeniert. Sie lässt Leilas Geschichte in einer abstrakten theatralen Welt spielen, fast ohne Requisiten und ohne ein naturalistisches Bühnenbild. Die Spielfläche wird nach hinten durch drei große Holzwände begrenzt, die variabel sind und so schnell verschiedene Räume andeuten können. Zunächst interessant - dann ermüdet das allzu häufige Verschieben dieser Elemente. Dialogszenen und an das Publikum gerichtete innere Monologe der beiden Protagonisten bestimmen die Handlung.
Andrea Casabianchi ist eine Leila, die mit ihren hoch gesteckten toupierten Haaren und den mit Kajal umrandeten Augen stark an Amy Winehouse erinnert. Unter einem Trenchcoat trägt sie reich verzierten orientalischen Kaftan, darunter schwarze Stiefel, Strümpfe und Unterwäsche. George (Thomas Kienast spielt ihn zunächst fast geckenhaft in Anzug und auffälliger roter Brille) fällt fast über sie her, um sie nach dem Sex hinauszuwerfen. Dann wieder, gerührt von ihrer Hartnäckigkeit, lässt er Momente der Nähe zu. Kienast überzeugt als alternder, vereinsamter Mann mit Gefühlsangst, der junge Frauen abschleppt, um – vergeblich – die Leere in seinem Leben zu füllen. Casabianchi vermittelt intensiv die verzweifelte Suche Leilas nach einer Heimat, nach einer Familie.
Die beiden weiteren Figuren, Sahid (Oliver Meskendahl) und Sybille (Maria Goldmann), bleiben blass, haben auch insgesamt mehr eine Leilas Geschichte kommentierende Funktion.
Ein Abend mit zwei starken Hauptdarstellern, mit zuweilen sprachgewaltigen Bildern (Leila zu George: „Schlag auf meine Gedanken ein, bis sie verstummen“), mit einer gerade heute sehr aktuellen Thematik. Und dennoch ein Abend, der einen oft seltsam unberührt lässt.