Thesen, Sex und weiter nichts
Der Satz kommt plötzlich, unerwartet, und doch ein bisschen herbeigesehnt, dieser Hinweis darauf, dass das Stück nun vorbei sei. Hier ungläubiges Staunen, weil nach 90 Minuten Szenengeplänkel ein dramaturgischer Höhepunkt offenbar nicht vorgesehen ist. Andererseits aber auch Erleichterung, dass das ewige Politisieren, Philosophieren, Thesengestemme ein End’ hat. Dass dieses Spiel auf grüner Wiese, das in beständiger Ruhe dahingleitet, genauso unspektakulär aus unserem Blick schwindet. War da was?
Annonciert war jedenfalls das Werk Ein Fräulein wird verkauft oder 36 Stunden von Ödön von Horváth. Was es in dieser Form eigentlich gar nicht gibt, die Ruhrfestspiele Recklinghausen sich aber haben zurechtschnippeln lassen. Von Dania Hohmann, die gleichzeitig Regie führt. Die eine im Nachlass entdeckte Prosa-Arbeit des Dramatikers in theatralische Form gegossen hat – die Geschichte der Agnes (Anna) Pollinger. Horváth selbst hatte das Namensdoppel eingeführt. Im St. Pauli Theater Hamburg war die Geschichte schon zu sehen.
Vordergründig geht es dabei nur um das Eine: ein junges, unschuldig Ding wird verführt, später denkt das Mädchen praktischer und nimmt Geld für Sex. Denn die Verhältnisse, die sind halt so nach dem 1. Weltkrieg in der Münchner Vorstadt bei den armen Leut’, die manches für ein paar Groschen tun. Erst keine Moral, damit dann wenigstens das Fressen kommt, um im Geiste Brechts zu sprechen. Horváth hat in seinen Meisterdramen diesen einfachen Menschen charakterstarke Gesichter gegeben, hier sehen wir allerdings bloß Figurinen, zarte Schemen, blasse Köpfe.
Die mehr oder minder ungebremst reden, faseln, schwadronieren. Wie der ungelenke Schlacks Eugen (Christian Bayer), der per Wortschwall versucht, den schüchtern die Hände ringenden Backfisch Agnes (Laura de Weck) zu beflirten. Um sie dann zu befingern. Die sich einen Schwall von Antworten denkt – der von anderer Seite vorgelesen wird (Prosa!) – um sich schließlich dem jungenhaften Hallodri einfach hinzugeben.
Anna in Gestalt von Josephin Busch, gewissermaßen das andere Gesicht der Pollinger, gibt sich reifer, bewegt sich freier, ja wirkt frecher. Letzte Zweifel, sich für einen Maler auszuziehen, um etwas Geld zu verdienen, legt sie schnell ab. Kokett blickt sie einem Künstler ins Gesicht, der wie eine Karikatur seines Standes auftritt. Matthias Deutelmoser gibt ihn selbstverliebt, als Oscar-Wilde-Bewunderer, als Buddhisten mit Schal und Zebrahose. Ein ältlicher, eitler Angeber halt.
Hinter der Fassade aber, wie bei den anderen Figuren auch, ist nichts. Ilona Schulz als Annas/Agnes’ fürsorgliche Tante beklagt ihre liebe Not. Der Kastner, der Anna/Agnes den Job als Aktmodell besorgt (Tobias Kilian) macht auf Macho. Manche Dialoge sind nicht frei von Komik, doch der Witz geht im Textgeplänkel dahin, wie das Stück dahingeht. Szenen eines ewigen Laberns, Turtelns oder Beschlafens. Und deshalb ist das Stück auch ganz plötzlich aus.