Maske forever
Die sogenannte Maske-Tetralogie, die die vier Stücke Die Hose, Der Snob, 1913 und Das Fossil umfasst, entstand in dem Zeitraum von 1908 bis 1922. Geschildert wird die Entwicklung der Familie Maske vom kleinbürgerlichen Beamtentum bis zur großkapitalistischen Bourgeoisie in der Zeit vor dem Ersten Weltkrieg. Sternheims Interesse war nicht, eine Familienchronik für das Theaterpublikum zu schreiben. Die vier Stücke sind beherrscht von einem Zug, der mit dem Titel vom bürgerlichen Heldenleben in Beziehung steht. Es handelt sich immer um die Charakterisierung zweier Gruppierungen, deren Unterschied in ihrem jeweiligen Verhältnis zu ihren eigenen Interessen begründet ist. Nach Sternheim gibt es eine fortwährende Fehde der beiden Lager, und immer gleiches Resultat im Kampf ist der Sieg der „heldisch zu sich“ gewillten Bürger wie der Maskes. Diese haben nur ihr Eigeninteresse im Sinn, während Leute wie Scarron (Die Hose) oder Graf Palen (Der Snob) vorgeben, allgemeine Interessen zu vertreten, so zum Beispiel die Liebe zur Kunst. Sternheim vertritt allerdings die Ansicht, dass menschliches Handeln nur von Interessen bestimmt ist, die der Verbesserung der Situation des Einzelnen dienen.
Sternheim lässt dementsprechend die Helden seiner Maske-Tetralogie sich nach außen hin hinreichend „mitbürgerlich konventionell“ geben, denn „dann kann man innerlich entschlossen man selbst, ein zyklopisch zu sich gewillter Viechskerl sein und Leben zu eigenem Nutz und Frommen radikal abweiden“. Über das Lustspiel Die Hose sagt er: Ich stieß „den bürgerlich befangenen Menschen unserer Zeit diese Tür ins Freie auf, während bis dahin der Dramenheld seinen Kampf zwischen der Pflicht für andere und Neigung zu sich selbst unbedingt mit dem Tod im letzten Akt büßte, machten meine Personen zum Schluss jedes Stücks den letzten Schritt auf sich selber zu“.
Anselm Weber inszenierte Die Hose, Der Snob und 2013, eine von Reto Finger neu geschrieben Version von Sternheims 1913. Die Hose und Der Snob mussten – um in den Drei-Stunden-Abend zu passen – zusammengestrichen werden. 2013 erinnert nur noch punktuell an Sternheims Vorlage.
Der Abend beginnt mit Marschmusik, die gut zu diesem „bürgerlichen Lustspiel“ Die Hose passt, das an die vormals beliebte TV-Serie „Königlich-bayerisches Amtsgericht“ erinnert. Der Aufhänger: Luise, die Frau des Beamten Theobald Maske, hat angesichts einer königlichen Parade ihre Hose verloren. Maske tobt, fürchtet er doch um sein Renommee. Doch lässt er sich mit Hammelkeule und Bohnen besänftigen. Dietmar Bär glänzt als selbstgefälliger, berechnender und brutaler Ehemann, der keine Skrupel hat, den lungenkranken Friseur Mandelstam (Roland Rebling) und den Dichter Scarron (Martin Horn gibt ihn steif-verklemmt in Gehrock und Zylinder) als zahlende Logiergäste zu nehmen. Beide waren Zeugen des Malheurs und sind von Luise (Xenia Snagowski: Typ graue Maus mit Kittel und braver Frisur) hingerissen. Über bloße Schwärmerei geht es jedoch nicht hinaus. Wogegen Maske den Kirchgang seiner Frau zum Seitensprung mit der ältlichen Nachbarin Frl. Deuter (Katharina Linder: gut als neugierige Tratsch-Tante) nutzt.
Bei Sternheim sind alle Mann-Frau-Beziehungen durch ein Ausbeutungsverhältnis bestimmt, d.h. Frauen sind dazu da, den Mann, der schließlich den Lebensunterhalt verdient, so zu unterstützen, dass er dabei nicht versagt.
In Snob verrät schon das viel aufwendigere Bühnenbild (Interieur einer protzigen Villa mit den Insignien des Großwildjägers: ein Zebrafell, ein Elefantenfuß als Papierkorb) den Sprung, den Christian, der Sohn von Theobald und Luise, gemacht hat. Mit radikalem Egoismus und eiskalter Berechnung strampelte er sich zum Generaldirektor hoch und will in der feinen Gesellschaft seinen Platz behaupten. Felix Rech spielt den wendigen Aufsteiger, der genauso skrupellos und egozentrisch ist wie sein Vater, hervorragend. Auch er entledigt sich zu Beginn seiner Geliebten Sybille Hull (Katharina Linder), der er finanzielle Starthilfe und Manieren verdankt. Er heiratet Marianne Palen, eine Grafentochter (Xenia Snagowski), der er in der Hochzeitsnacht vorschwindelt, er sei das Produkt einer Affäre seiner Mutter mit einem Vicomte. Dietmar Bär taucht hier als alter Maske auf, der den Erfolg des Filius preist: „Das alles brachte mein Bürgerblut zum Brausen“.
Reto Finger greift Sternheims Idee auf, Christians Tochter Sophie das Ruder in der Firma übernehmen zu lassen. Passt dann aber das Geschäftsgeschehen radikal an die heutige Situation an und lässt dem alten Chef keine Chance, einzugreifen. Die drei Töchter Sophie (Nadja Robinè), Charlotte (Kristina Peters) und Ottilie (Sarah Grunert) erweisen sich alle mehr oder weniger als ziemlich cool und herzlos agierende Frauen. Allen voran Sophie, die den Aktionären die Systemrelevanz predigt und maximales Gewinnstreben preist: „too big to fail“. Ein Kurzlehrgang über den modernen Kapitalismus. Auf der Strecke bleibt im dritten Stück nicht nur Sternheims verknappte Sprache.
Im Grunde ein interessanter Ansatz, der jedoch – auch aufgrund der nicht endlos auszudehnenden Spieldauer – manchmal zu sehr an der Oberfläche bleibt und, in 2013, mit zu vielen Schlagwörtern besetzt ist.
Verdienter Beifall für ein hervorragendes Ensemble.