Liebe ist reine Verrücktheit (Wie es euch gefällt, III.6)
Liebe ist reine Verrücktheit (Wie es euch gefällt, III.6)
Im Ardenner Wald begegnet die als Knabe verkleidete Rosalind, die Tochter des alten Herzogs, Orlando. Auch er ein Verbannter. Orlando ist in sie verliebt und sie liebt ihn. Aber Rosalind und ihre Cousine und Busenfreundin Celia, die Tochter des neuen Herzogs, treten zu ihrem eigenen Schutz als Männer verkleidet auf. Celia wird zu Aliena (die „Fremdheit“) und Rosalind zu Ganymed. Als dieser stellt sie Orlandos Liebe auf die Probe. Sie „verführt“ ihn, aber sie verführt ihn wie ein Knabe, oder vielmehr wie ein Knabe, der in dieser Verbindung das Mädchen sein will. Die spröde Phoebe, sich heftig des unglücklich für sie entflammten Silvius erwehrend, hat sich ebenfalls leidenschaftlich in Ganymed verliebt. Der Hofnarr Touchstone, den die Mädchen zu ihrem Schutz mitnahmen, entflammt für das Landmädchen Audrey. Der Melancholiker Jacques sinniert abseits des Trubels um ihn herum über die Unmenschlichkeit des menschlichen Lebens: „Meine Melancholie ist nicht die eines Gelehrten…es ist eine Melancholie nach meiner eigenen Art… im Grunde die mannigfaltige Betrachtung meiner Reisen, über die immer wieder nachzugrübeln, mich in eine höchst seltsame Traurigkeit versetzt“. Jacques hat ein Vergnügen daran, seinen Zeitgenossen die Wahrheit unter die Nase zu reiben, wenn er sagt, alle Menschen seien Schauspieler auf der Bühne ihres Lebens. Die Tragik sei, dass nur wenige darüber Bescheid wüssten, dass es so sei.
Martin Schulze, freischaffender Regisseur aus Köln, inszenierte Wie es euch gefällt zum Saisonende am Schauspiel Essen. Die Bühne ist zu Beginn eine schmucklose Fläche, hinter der sich eine hohe, dunkle Wand auftürmt. Darauf projiziert werden wolkenartige Gebilde in wechselnden dezenten Farbtönen. Die Schauspieler, in strengen schwarz-weißen Kostümen, treten mit abgezirkelten Bewegungen wie Marionetten auf. Spontanität und Gefühle – kaum vorstellbar in dieser sterilen Welt am Hofe. Kalte metallische Klänge (Musik: Dirk Raulf) betonen die Emotionslosigkeit dieser höfischen Welt und das fehlende Miteinander dieser Hofschranzen, die meist eher zum Publikum sprechen als miteinander.
Im zweiten.Akt prasseln eine Unmenge getragener Kleider vom Schnürboden auf die Bühne – ein ungewohntes, aber passendes Bild für den Ardenner Wald, einen Ort der Verstrickungen, der Emotionen, der Ängste, der Illusionen und der Sehnsüchte. Hier nun auch ein Fundus für die Akteure, der ihnen den Kleider- bzw. Rollentausch leicht macht.
Zweifellos mit die beeindruckendsten Darsteller an diesem Abend sind Stefan Diekmann als witzig-wortgewaltiger Narr und Tom Gerber, der – dandyhaft gekleidet – als schwermütiger Jacques seine Runden im wahrsten Sinne des Wortes dreht. Ihr verbaler Schlagabtausch ist ein Genuss. Silvia Weiskopf überzeugt sowohl als Rosalind wie auch als fintenreicher Ganymed. Ihr ebenbürtig ist Daniel Breitfelder als Orlando. Glaubhaft sein Liebesrasen, seine ungestüme Zuneigung. Auch die Nebenrollen sind gut besetzt, so Sven Seeburg als alter Schäfer, Laura Kiehne als Celia, Floriane Kleinpaß als Audrey, Bettina Schmid als Phoebe und Tobias Roth als Silvius. Das äußerst spielfreudige Ensemble beeindruckt natürlich besonders im zweiten Teil des Abends, obwohl sich die Darsteller schon manchmal arg durch die Kleiderberge mühen müssen.
Insgesamt aber ein märchenhafter und unterhaltsamer Abend – ganz im Sinne Shakespeares, der in seiner Zeit als Autor galt, der wusste, was die Leute wollten. Auch Wie es euch gefällt ist eine Komödie mit den Highlights des elisabethanischen Theaters, mit Musik, Szenen aus dem ländlichen Alltag, höfisches Gehabe, Prügeleien, Jux und Clownerien, Witze (anständige und zweideutige). Und Liebe wird hier nicht als Himmelsmacht zelebriert, sondern ist ein Gemenge aus Trieben, Ängsten, Wünschen und Wahn.