Die Würde des Afrikaners
Die Farbe Weiß ist stets positiv konnotiert, sagt Étienne Minoungou. Weißer Fußboden gilt als edel, weiße Weste ist prima, Schneewittchen oder die Zahnpasta für den Superweiß-Effekt auch. Sogar das Symbol für die Supermacht, die für das Gute in der Welt steht, ist weiß: das „Weiße Haus“, ergänzt er, ironisch lachend. Schwarz dagegen ist der Teufel; es gibt schwarze Magie, die schwarze Seele, schwarze Schafe. – Mit solchen psychologischen Spielchen habe die Gesellschaft den dunkelhäutigen Menschen dazu gebracht, sich minderwertig zu fühlen. Missachtung und Niederlage sei eine täglich wiederkehrende Erfahrung im Leben der Afrikaner. Dabei gebe es genügend Gründe für Selbstbewusstsein. Man müsse viel mehr Positives berichten: Welche Farbe zum Beispiel habe ein wohlschmeckender Kaffee, welche Farbe verbinde man mit guter Schokolade? – Eben!
Was in der Nacherzählung möglicherweise ein wenig nach schaler political correctness klingt, bringt der burkinabeische Schauspieler und Gründungsintendant des großen westafrikanischen Theaterfestivals Récréatrales furios und ausgesprochen abwechslungsreich auf die Bühne. Minoungou, dessen Physiognomie tatsächlich eine entfernte Ähnlichkeit mit dem früheren Boxweltmeister Muhammad Ali aufweist, hat bereits als Kind davon geträumt, diesen einmal auf der Bühne darzustellen. Nun hat sein Freund, der Kongolese Dieudonné Niangouna, einer der herausragendsten zeitgenössischen Dramatiker des Kontinents und ebenfalls Leiter eines internationalen Theaterfestivals, ihm ein Stück auf den Leib geschrieben. In einer gelungenen Collage von Motiven aus dem Lebenslauf Muhammad Alis und Reflexionen über aktuelle und historische gesellschaftspolitische Probleme der afrikanischen Bevölkerung ziehen Niangouna und sein Protagonist Parallelen zwischen dem Kampf des in den USA lange unterdrückten, u. a. wegen Wehrdienstverweigerung zu einer fünfjährigen Gefängnisstrafe verurteilten Box-Idols, dem Lebenslauf und der Theaterauffassung Minoungous und dem Kampf der afrikanischen Bevölkerung um Überleben und Gleichberechtigung.
Sinnfällig ergeben sich diese Parallelen wie von selbst: Vielfache Original-Zitate aus den Reden und den öffentlichen Auftritten Muhammad Alis erinnern daran, dass der berühmte Boxer auch einer der Vorkämpfer für Bürgerrechte und für die Gleichberechtigung zwischen Schwarzen und Weißen in den USA war. Ali nahm Stellung zu den gesellschaftlichen und politischen Umwälzungen seiner Zeit – und zwar aus einer radikal subjektiven Sicht, die sich substanziell von jener des „weißen Amerika“ unterschied. Zu Beginn seiner Profi-Zeit nach dem Olympiasieg 1960 waren rassistische Gesetze in den USA noch in Betrieb, ein an die Zeit der Sklaverei erinnerndes Leben der afrikanisch-stämmigen Bevölkerung an der Tagesordnung. Ali, der für die weißen Amerikaner ein Idol wurde durch seine sportlichen Erfolge, für die Afroamerikaner aber mindestens ebenso durch seinen politischen Kampf für „Respekt und Achtung“, war nicht nur Zeitzeuge, sondern einer der Protagonisten des gesellschaftlichen Wandels in seinem Land.
Einen solchen intellektuell grundierten Kampf fordert das Stück M‘appel Mohamed Ali von der afrikanischen Bevölkerung gegenüber einer weißen Kultur, die in der Geschichte für die „Vergiftung von Brunnen“ und für Völkermorde stand: einen Kampf für Respekt, Achtung und Chancengleichheit. Die Älteren erinnern sich an den Duktus von Alis Reden und Auftritten: Da war einerseits die Show, das Bemühen, die Leute zum Lachen zu bringen, weil man, wie Ali meinte, ihnen danach jede Wahrheit ins Gesicht sagen könne. Das tat Ali in wütender, zuweilen militanter Form. Minoungou versucht nicht, das typische präpotente, prahlerische Gehabe des Boxers zu kopieren. Er ist Étienne Minoungou, ein sympathischer, reflektierter, intellektueller Analytiker seiner Zeit – auch dann, wenn er Original-Texte des Boxers zitiert und gleiche Argumentationsketten aufbaut wie dieser. Mal sind seine Texte poetisch, mal ironisch, mal vorwurfsvoll, mal polemisch – immer aber durchdacht und: versöhnlich. Er fordert die Afrikaner auf, sich „niemals zu unterwerfen“, und konstatiert: „Ein Schwarzer wird nie ein Weißer sein, und ein Weißer wird nie ein Schwarzer sein. Sie sollten sich nur verstehen, einander respektieren“, einander auf Augenhöhe begegnen können. „Die Feindseligkeiten beenden“, fordert er zu Beginn. Und will dabei nicht billige Zustimmung der Überkorrekten: Ausdrücklich distanziert er sich von denen, die ohne eigene Anstrengung profitieren zu können glauben von einer besseren Welt, sondern er ruft auf zu konstruktiver Eigeninitiative. Und zur Bewahrung der eigenen Würde. Frühe schwarze US-Idole wie Joe Louis, den „Kämpfer der faschistischen amerikanischen Armee“ und Helden in Zeiten der Rassentrennung, machen ihn misstrauisch. Und er differenziert zwischen dem politisch engagierten Muhammad Ali und seinem Gegner George Foreman, einem „dummen, brutalen Neger, der auf den Jahrmärkten vorgeführt wird“, der die niederen sexuellen Instinkte der Frauen ansprach wegen angeblich übergroßer Potenz oder wegen einer Kraft, mittels derer er mit einem Schlag eine Kuh umbringen konnte: „Beim Boxen geht es gerade darum, NICHT den Neger darzustellen“. Nun, Autor Niangouna ist Kongolese, und wir erinnern uns: Beim „Rumble in the Jungle“ in Kinshasa hatte Foreman sich mit seinem Deutschen Schäferhund Feinde gemacht, der die Bevölkerung an die belgische Kolonialzeit erinnerte
NICHT den Neger darzustellen: Das ist auch die Botschaft von Niangounas und Minoungous Theaterkonzept: Nicht die typische afrikanische Folklore darzustellen, in der das afrikanische Theater auf komödiantische Weise klischeehafte Verhaltensweisen der Schwarzen spiegelt. Tatsächlich haben wir solche Art afrikanischen Schauspiels ja sogar bei Theater der Welt 2010 in Essen gesehen: aufmüpfiges, angeblich kritisches politisches Theater, das aber mit groben, folkloristischen Volkstheater-Effekten arbeitet. Aber auch die Wirksamkeit der klassischen Rollen wird in Frage gestellt: „Die Rollen fressen uns auf. Wir verdecken nur unser wahres Ich.“ Furios, unglaublich variabel in seiner Darstellung und über mehr als eineinhalb Stunden fesselnd präsentiert Étienne Minoungou ein differenziertes, wohl abgewogenes und sehr persönliches Stück politisches Theater. Aber. „Le temps des spectacles est terminé.“