Der Menschenfeind im Theater Krefeld

Schräglage der Gefühle

„Molière hat das Tier Mensch wie ein Insekt aufgespießt und löst mit feiner Pinzette seine Reflexe aus. Und das Insekt Mensch zeigt nur den einen, immer gleichen Reflex, der bei der geringsten Berührung aufzuckt: den des Egoismus“. (Jean Anouilh)
Molière zeichnet in seiner Komödie Der Menschenfeind eine lächerliche Welt, in der Schein wichtiger ist als Sein und wo sich angeblich gute Freunde nur allzu gern in den Rücken fallen. Schmeicheleien und oberflächlicher Society-Smalltalk dominieren in dieser Gesellschaft. Alceste, die Hauptfigur in diesem Stück, das zugleich eine traurige Liebesgeschichte erzählt, fühlt sich der absoluten Aufrichtigkeit verpflichtet. Aber trotz seines ständigen Opponierens gegen Intrigen und Partyklatsch bleibt er Teil dieser Gesellschaft, gefangen in seiner grenzenlosen Liebe zu Célimène. Sie wiederum weiß besser als jeder andere die Partylöwin zu geben und kennt sich hervorragend aus im – heute noch genauso gültigen – Gerangel um wichtige Positionen und in den Taktiken, Allianzen zum eigenen Vorteil zu schmieden. Die Gesellschaft im Menschenfeind kreist ständig um sich selbst und verhandelt fortwährend aufs Neue den Marktwert ihrer Mitglieder. Die Liebesgeschichte ist eine Geschichte des gegenseitigen Verfehlens, will doch Célimène nicht auf das Spiel mit ihren zahlreichen Verehrern verzichten. Und Alceste vermag nicht, von ihr zu lassen, ebenso wenig, wie er mit den Provokationen gegenüber der Gesellschaft aufzuhören imstande ist.
Christoph Roos inszenierte Der Menschenfeind am Theater Krefeld in der Übersetzung von Jürgen Gosch und Wolfgang Wiens.
Über der Bühne lesen wir in Leuchtschrift „liberté toujours“, vielleicht ein französisches Motto zu einem französischen Stück? Die Requisiten beschränken sich auf ein paar blaue Hocker und einen Sektkühler. Peter Scior hat die Spielfläche bis zur ersten Zuschauerreihe über den Orchestergraben hinweg gezogen und sie als eine Art Wippe konstruiert. Ständig schwankt sie hin und her, nie gibt sie festen Halt. Ein Gleichgewicht ist so kaum möglich. Die Schauspieler stolpern, fallen hin, können sich kaum auf den Füßen halten. Die Welt gerät aus den Fugen, symptomatisch für die Seelenlage des Protagonisten.
Bruno Winzen (Alceste) überzeugt als engstirniger Moralist („Ich hasse alle, alle“), der gequält alles und jeden in Frage stellt und niemandem traut. Esther Keil (Célimène) glänzt als pragmatisch-kühle Partygastgeberin, die nur zu gern den einen gegen den anderen ausspielt. Der eitle Oronte buhlt ständig um Zustimmung für seine dichterischen Werke und braucht eine Weile, ehe er Alcestes Spott versteht. Daniel Minetti gibt ihn amüsant. Zum Partyvolk, das sich permanent selbst inszeniert, getreu dem Motto „locker, witzig, gut drauf“, gehören das smarte, dümmliche Duo Acaste (Cornelius Gebert) und Clitandre (Felix Banholzer), Eliante (Helen Wendt, etwas sehr brav und zurückgenommen), Alcestes Freund Philinte (Paul Steinbach) und Arsinoé (Eva Spott).
Ein unterhaltsamer Abend mit einer sehr soliden Ensembleleistung, der das Publikum bei der Premiere viel Applaus spendete.