Übrigens …

Wo der Pfeffer wächst im Paderborn

Tagträumer wie du und ich

Zum Auftakt wandert eine Pfeffermühle durch die Riege der elf Darsteller und verwandelt sich in deren Händen immer aufs Neue in ein Objekt, welches synonym für ihre verschiedensten Träume steht: in ein Baby, einen Zauberstab, einen Fußballpokal. Die Akteure der Szenencollage Wo der Pfeffer wächst haben eine geistige Beeinträchtigung, ihre Wünsche indes unterscheiden sich nicht von denen von Menschen, die wir im Volksmund gern „normal“ nennen.

Das darstellende Ensemble „Weltenbrecher“ ging 2006 aus einer Initiative zur Lebenshilfe für Menschen mit geistiger Behinderung in Lüneburg hervor, und die Blüten, welche dieser Ableger treibt, können sich sehen lassen. Jeder einzelne Beteiligte lebt auf der Bühne seine individuelle Körperlichkeit und lässt sie selbstverständlich ins Spiel einfließen. Mit ausdrucksstarker Konzentration und Präsenz bringen die Protagonisten ihre Wünsche zum Ausdruck, die ihnen teilweise von unserer leistungsorientierten Gesellschaft abgesprochen werden. Ein Kind zum Beispiel – obwohl man nur die Zeitung aufschlagen muss, um täglich festzustellen, wie viele Menschen ohne offensichtliche Behinderung mit der Erziehung an ihre Grenzen kommen. Viele der gezeigten Sehnsüchte überfallen jeden von uns im Alltag. Das Bedürfnis, die Monotonie des Daseins in wahres Leben zu verwandeln, die Hektik über Bord zu werfen, die lästigen Pflichten einzutauschen gegen das einfache Sein. Der Wunsch nach dem richtigen Partner fürs Leben. Das Bestreben, alles im Griff zu haben – vor allem die Mitmenschen, und diejenigen davon auf Knopfdruck verschwinden zu lassen, die uns den letzten Nerv rauben.

Besonders humorvoll in Szene gesetzt wird das Verlangen nach Selbständigkeit, welches oftmals zwischen Eltern und Kindern zur Zerreißprobe ausartet. Diesen Prozess von der Schwierigkeit des Loslassens, Machtkämpfe inbegriffen – welcher Vater, welche Mutter kennt ihn nicht? Unabhängig davon, ob das Kind eine Behinderung hat oder nicht. Aber gerade die behinderten Sprösslinge müssen ganz besonders hart für ihr Maß an Unabhängigkeit kämpfen. Und ihre Konflikte beschränken sich nicht nur auf das familiäre Umfeld. Oftmals wird ihnen völlig willkürlich von ihrer Umwelt die Lebensberechtigung abgesprochen („Wie kann man nur so was in die Welt setzen?“). Normale Nase, normale Gedanken – das ist es, was zählt. Und wer so was nicht zu bieten hat, fällt durch das grobmaschige Sieb (sprich: das soziale Netz) unserer Gesellschaft. Gut, dass die Inszenierung keine Scheu hat, auch diese unbequemen Tatsachen aufzugreifen und dem Zuschauer zu spiegeln. Ihr eigenes Empfinden darüber, wie sie sich von ihrer Umwelt wahrgenommen fühlen, bringen die Akteure ganz selbstverständlich zur Sprache, und dabei schrecken sie auch vor sarkastischem Humor nicht zurück.

„Für jede Minute auf der Bühne arbeiten wir fünf Stunden“, unterstreicht Stefan Schliephake, gemeinsam mit Anneke Michaelis Leiter des Projekts. Diese akribische Feinarbeit zahlt sich für alle Beteiligten aus – für Zuschauer und Schauspieler. Die Darsteller wurden auf den Punkt vorbereitet für ihre gelungene Aufführung, die niemals in ein Vorführen mündete, sondern aufzeigte, dass die Kluft zwischen Menschen mit und ohne Handicap nicht so groß ist wie sie von uns („Normalen“?) gemacht wird. Projekte wie dieses wenden die Gefahr ab, dass „Inklusion“ zum Modewort verkommt, wo unter dem Strich nur „gut gemeint“ statt „gut gemacht“ steht.