we watch you watch im Düsseldorf

Klonfleisch, Hamlet und Spione

Gestern ging die Nachricht vom ersten Klon-Burger um die Welt – einer Frikadelle aus den Stammzellen glücklicher Kühe. Einen Tag später schon findet er Eingang in das Theaterprojekt von ultraviolett und Drama Köln: Die spielen ihr Außenprojekt we watch you watch im Rahmen des Düsseldorfer ASPHALT-Festivals vor einem großen Einkaufszentrum mit Blick auf McDonald’s. 100 Prozent Klonfleisch gebe es dort, suggeriert die Stimme in unserem Ohr – wer’s glaubt, wird selig: Das würde die Kostenstruktur des Hamburger-Braters wohl mächtig durcheinander wirbeln.

Aber besser Klonfleisch als Gammelfleisch. Geschätzte 20 Minuten lang gammelt ein junger Mann ca. 30 Meter von uns entfernt an einem Geländer herum und stiert Löcher in die Luft. Vielleicht denkt er auch nach – tiefsinnige Gedanken strömen aus seinem Kopf in die Kopfhörer der Zuhörer – tiefsinnige und schwachsinnige; da sind sich die Interpretatoren noch nicht ganz einig. Ein Kind, missmutig von seiner Mutter in Richtung Einkaufszentrum gezerrt, denkt ans Sterben, und seine Mutter hat sich das Leben auch einmal anders vorgestellt…

Wir sitzen da mit Blick auf den Bilker Bahnhof auf der großzügigen freien Fläche zwischen Bushaltestelle und EKZ. Die Cleveren haben die Vorstellung um 17 Uhr gebucht, denn da ist noch bannig was los auf den Straßen der Landeshauptstadt. Paare und Passanten ziehen vorüber, und nie zuvor ist uns aufgefallen, wie viele unterschiedliche, oft skurrile Typen um diese Zeit unterwegs sind. Irgendwo in der Peripherie des Platzes stehen Markus Heinicke, Angelika Krautzberger, Mirko Monshausen und Nika Wanderer und picken sich ein paar davon heraus, um deren Gedanken zu lesen und sie den 30 oder 40 Zuschauern mitzuteilen, die auf Campinghockern sitzen und anfangs noch ein wenig Mühe haben, die von den Performern gemeinten Menschen zu identifizieren. Das legt sich schnell, der Blick schärft sich. Einer Gruppe Jugendlicher mit Migrationshintergrund wird der typische jugendliche Proll-Sprech unterlegt; Hamlet im gelben T-Shirt sammelt gerade Flaschen und begegnet seinem Vater, mit Strohhut, langem Bart und Lederhosen eine wahrhaft surreale Geister-Gestalt im urbanen Düsseldorf, die dem Regietheater-Kostümbildner für die nächste Shakespeare-Inszenierung zum Vorbild dienen mag. Aber sie ist echt – Fake sind in dieser Performance nur die Gedanken. Zufällige Passanten werden zu Protagonisten, doch sie wissen nichts davon. Nur wenige wundern sich über die Gruppe von Zuschauern, die interessiert in dieselbe Richtung schauen, in der aber nichts erkennbar Aufregendes passiert. Einmal werden wir gar von einem der potentiellen Opfer des Gedankenlesespiels fotografiert.

Wie gut diese immerhin für den Kölner Theaterpreis 2011 (den dann aber letztlich der „Faust“ vom Theater im Bauturm erhielt, siehe hier) nominierte Performance funktioniert, hängt vom Passanten-Potential, aber auch von der Tagesform der Performer ab. Letztere ist beim Gastspiel vor den Düsseldorf Arcaden eher mittelprächtig. Vielfach werden Chancen vergeben – der Hamlet tigert immer wieder über den Platz, unschlüssig und zaudernd, offenbar schnorrend und nicht immer edel im Gemüt. Daraus hätten die Jungs und Mädels vom Improvisationstheater Springmaus eine hinreißende, vielleicht auch hohnlachende Story gemacht – die Performer von ‚ultraviolett’ und ‚Drama Köln’ dagegen verlieren den jungen Mann aus den Augen und aus dem Sinn. Das passiert häufiger. Sie haben offenbar ein ungefähres Drehbuch – einige Motive, die sie unterbringen wollen und die sich leider mit zunehmender Dauer der Performance wiederholen: Alltagsbeobachtungen, ein paar pseudo-literarische oder pseudo-philosophische Gedanken - und die Überwachungsmechanismen.

Die Beobachtung der Passanten führt zu einigen ganz witzigen Assoziationen, die auch vor politisch inkorrekten Klischees nicht zurückschrecken. Zu manchen Typen fordert eine der Performerinnen zusätzliche Informationen ein: über Lebensgewohnheiten oder die Art und Intensität der Internet-Nutzung zum Beispiel. Manchmal ist das herrlich böse, wenn z. B. angesichts einer noch jungen, aber verlebt und verbiestert aussehenden Frau gefragt wird: „Wissen wir schon, welche Medikamente sie einnimmt?“ oder wenn der absurderweise mit einem Reiterhelm auf dem Kopf zum Bahnhof strebende Mann die Frage auslöst: „Haben wir da was über Klinikaufenthalte?“

Das Motiv der Überwachung des gläsernen Menschen taucht immer wieder auf – schließlich sitzen ja auch wir dort und suchen den ganzen Platz ab nach den von Big Brother identifizierten Personen. Informationen, wie wir sie selbst unbedacht in sozialen Netzwerken abgeben, werden zitiert, aber auch intime Details aus der Krankenakte. Wir erhalten – gefakete – Informationen über die Anzahl der Überwachungskameras auf dem Platz und im Einkaufszentrum, und gegen Ende wird eine verworrene Geschichte erzählt über eine Verschwörung und über mögliche Terroranschläge. In der besuchten Vorstellung hatte die Truppe das unverschämte Glück, dass just in diesem Moment ein Krankenwagen mit Blaulicht am Eingang des Einkaufszentrums vorfährt – auch diese Vorlage von Genosse Zufall wird jedoch kaum genutzt. – Zum Schluss folgt ein Krimi, in dem alle Passanten hypothetisch mitspielen, der aber ebenfalls nicht so recht aufgeht.

75 Minuten Spieldauer sind angesichts der sich ständig wiederholenden Motive ein wenig ermüdend, denn nicht jeder der Performer ist ein begnadeter Geschichtenerzähler. Aber vieles ist auch witzig, manche Assoziation zeugt von Phantasie, von Sinn für Makabres oder Spaß an kleinen Boshaftigkeiten. Manche (gewollte) Klischees lassen uns nachdenken über unsere eigenen Vorurteile und Maßstäbe. Und irgendwo war da ja auch noch diese Sache mit dem gläsernen Menschen. Da war doch gerade was mit den Transatlantik-Leitungen? O’zapft is… - NSA einmal anders.