Übrigens …

Bunbury im Köln, Theater im Bauturm

Pralle Gesellschaftssatire

Oscar Wildes Salonkomödie Bunbury von 1895 hat in der Inszenierung von Thomas Ulrich, der auch die Theaterschule im Kölner Kellertheater leitet, nichts von ihrer gesellschaftskritischen Substanz eingebüßt, mit der Wilde - selbst ein „bekennender Dandy“ und damalige Galionsfigur der Schöngeistigkeit - die feine englische Gesellschaft seiner Zeit geistreich und erbarmungslos karikiert. Sein Lebensstil, sein Wortwitz und die geschliffene Sprache schlugen damals hohe Wellen, sein offener Umgang mit seiner Homosexualität führte gar zu einer Gefängnisstrafe, nach deren Absitzen er England für immer verließ. Man vertrug halt keine harte Wirklichkeit, sondern hielt sich lieber am schönen Schein. Wildes geniales und unbestrittenes Meisterwerk dürften es allerdings heute nicht einfach haben, in einer brav-konventionellen Inszenierung beim heutigen mit vielfältigen Eindrücken überfütterten Publikum adäquat anzukommen. So aber nicht in Köln.

Die Story ist durchaus immer noch aktuell: der Dandy Jack Worthing lebt mit seinem Mündel Cecily auf dem Lande, sein stark übergewichtiger Freund Algernon Moncrieff in London; die Freunde führen ein vergnügungssüchtiges Doppelleben und haben dazu jeweils einen kranken Vertrauten namens „Bunbury“, der oft besucht werden muss bzw. einen psychisch problematischen und kranken Bruder „Ernest“ erfunden, der entsprechende Fürsorge braucht - quasi ein doppelter Boden und Alibi für Ausflüge in die anderen Gefilde.

Algernon verliebt sich in Jacks Mündel Cecily (entzückend naiv und ländlich: Stefanie Philipps), die nur einen Mann heiraten möchte, der Ernest heißt. Jack hingegen hat ein Auge auf Gwendolen (schick und spritzig-frech: Lisa Bihl) geworfen, die Tochter von Algernons Tante Augusta Bracknell (köstlich die feine Gesellschaftsdame karikierend und auch als Mr. Crisby, gestrenger Vertreter der Obrigkeit: Doris Plenert). Sie hat mit der Verbindung ein Problem, da ihr Neffe Jack bzw. Ernest ein Findelkind ist – was nach Offenlegung seines Vermögens plötzlich ganz unwichtig ist.

Nachdem sich herausgestellt hatte, dass die Haushälterin den Bruder von Algernon einstens in einer Handtasche in Viktoria Station vergessen hatte, entpuppen sich – wunderbar die Entdeckungsszene auf einmal in Zeitlupe - die Freunde als Brüder (was sie auch im wahren Leben sind) und Jack tatsächlich als Ernest. Die vorgesehene Umtaufe durfte konnte daher entfallen.

Um diesen Kern schwirren etliche Nebenfiguren, so der ständig im Sportdress joggende und mit dem Hintern wackelnde Butler Lane (Marius Bechen), der auch köstlich in einer gleichzeitigen Doppelrolle Miss Prism und den von ihr angebaggerten und Grimassen schneidenden Dorfpastor mimte; wunderbar, wie die beiden sich in der Schlussszene zu umarmen scheinen. Matthias Demmer hat auf die Bühne einen großen weißen und breiten Rahmen gestellt, der auch als Schrank dient und liegend als Sitzgelegenheit und kleine Innenspielfläche. Einfach und wirkungsvoll.

Unbestrittener Star des Abends war Jean Paul Baeck, der den schusseligen, schlampigen und tuntigen Algernon mit einem Feuerwerk an Mimik, Bewegung und Sprache karikierte und ständige Lachsalven des ausverkauften Hauses provozierte; man musste aufpassen, auch alles mitzubekommen. Herrlich sein Outfit (Kostüme und Maske: Nina Wellens) mit rosa Socken und Pinguinmuster, er stopfte ständig grellbunte Muffins in sich hinein, sprach dabei mit vollem Munde und verlangte vergeblich nach Gurkenschnittchen – beides gab es dann bei der Premierenfeier. Jonas Baeck hatte es als sein Bruder Jack und feinsinniger Dandy vom Lande nicht einfach, sich neben ihm zu behaupten, konnte aber sehr gut gegenhalten.

Thomas Ulrich hat eine grellbunte, teilweise absurde Soap-Opera geschaffen, quasi eine moderne Adaptation der eigentlich banalen Story, eingebunden in Elton-John-Lieder mit deutschen Texten und zahlreichen feinen Gags. So futtert und füttert Mama Augusta ständig Bonbons aus ihrer Tasche, aus der sie zum Schluss bergeweise Bonbonpapierchen entleert – Fürsorge- und Liebesersatz per Süßigkeiten, die jetzt entbehrlich werden. Trotz der überschäumenden Heiterkeit im Saal fiel der gesellschaftskritische Aspekt des Stücks, die ernste Schicht unter der Komödie, niemals unter den Tisch - eine gelungene Gratwanderung. Besuch: sehr empfehlenswert.