Auftakt mit Lachen
Das Schauspiel Köln ist in die neue Spielzeit mit einem neuen Intendanten gestartet. OB Jürgen Roters bescheinigte bei seiner Eröffnungsrede Stefan Bachmann, dass er „in Köln angekommen“ sei. Schön, wenn’s in vollem Umfang stimmt. Ein gewisser Bonus für Bachmanns Vorgängerin Karin Beier war, dass sie gebürtige Kölnerin ist und bereits vor ihrer Intendanz vor Ort als Regisseurin gearbeitet hatte. Bachmann, 1966 in Zürich geboren, lernte sein Handwerk u.a. bei Luc Bondy. Bevor er an großen Schauspielhäusern arbeitete (u.a. der Wiener Burg, wo auch Karin Beier häufig inszenierte), gründete er in Berlin das Theater Affekt. Zwischen 1998 und 2003 war er Schauspieldirektor in Basel, wirkte dann als freier Regisseur.
Jetzt ist er also in Köln angekommen, freilich auf der „Schäl Sick“, im rechtsrheinischen Stadtteil Mühlheim, was manche hinsichtlich einer bestimmten Kölschen Mentalität zunächst als Wagnis betrachtet haben. Doch die Oper hat(te) mit ihrem Palladium kein diesbezügliches Problem. Außerdem wiegt schwer, dass auf dem Gelände des Carlswerkes das Depot, ehemalige Produktionsstätte für Kabel, entschieden preiswerter anzumieten war als die Expo XXI, welche unter Karin Beier als Außenspielstätte für die Zeit der Komplettsanierung des Theaterkomplexes am Offenbach-Platz war (Vollendung 2015 anvisiert). Weiterer Vorteil des Depots: die beiden dort bespielbaren Räume sind auch akustisch voneinander getrennt, können für Aufführungen also gleichzeitig benutzt werden.
Die sehr funktional wirkende Gebäudelandschaft wurde übrigens mit dem „Carlsgarten“ verschönert, in dessen Beeten Blumen sprießen und auch Gemüse wächst, welches u.a. von der Theaterkantine in Anspruch genommen wird. Die beiden Depot-Räume wurden aufwändig und mühevoll in Theaterspielstätten umgewandelt, was Stefan Bachmann in seiner etwas nervösen Ansprache vor der Premiere als „Wunder“ bezeichnete. Dass die Akustik (vorerst von Depot 1) zu wünschen übrig lässt, ist freilich kein Wunder angesichts der nach oben hin sehr offenen Architektur. Die Schauspieler trugen deshalb Mikroports; ob es dabei bleiben muss, wird sich zeigen.
Ihre Visitenkarte gaben das nahezu komplett ausgewechselte Ensemble sowie Rafael Sanchez, einer der vier Hausregisseure/innen, mit Michael Frayns Der nackte Wahnsinn ab. Der 1933 in London geborene Autor setzt sich häufig mit politischen Themen auseinander (die Opernversion von „Kopenhagen“ wurde vor Jahren in Köln aufgeführt), schätzt aber auch das Genre der Farce. Bei Der nackte Wahnsinn wird es auf die Spitze getrieben. Warum gerade dieses Stück an so exponierter Stelle? Stefan Bachmann findet die ironischer Spiegelung von Theaterarbeit ungemein reizvoll, als Außenstehender bekommt man den positiven Eindruck, dass der neue Intendant bei allen Ansprüchen kommender Produktionen sein Kölner Amt locker angeht und das Publikum nicht gleich mit intellektuellen Höhenflügen konfrontiert.
Frayns Stück ist dreißig Jahre alt. Nochmals 150 Jahre zurück führt die thematisch verwandte Buffooper Le convenienze et le inconvenienze teatrali von Gaetano Donizetti, heute immer als Viva la Mamma gegeben. Der Spaß an dem, was sich hinter den Kulissen so alles abspielt, war also schon immer sehr groß. Die Frayn-Komödie konnte man nota bene schon bald nach ihrer Uraufführung in den längst nicht mehr existierenden Kölner Kammerspielen erleben. Dieses Haus verfügte über eine nur sehr kleine Bühne; die von Depot 1 ist gute 30 Meter breit. Michel Schaltenbrands liebevoll realistische Ausstattung (sie zeigt eine Bühnendekoration) lässt die reale Größe allerdings ein wenig schrumpfen. Dennoch gewinnt man den Eindruck, dass zumindest dem ersten. Akt ein architektonischer Schrumpfungsprozess gut tun würde (Oscar Wildes Bunbury im Bauturm-Theater ist hierfür ein aktuelles Anschauungsbeispiel).
Das ändert sich freilich ab dem 2. Akt. Was zunächst als ziemlich chaotische, unter extremem Zeitdruck stehende Probe einer Tourneetruppe für ihr neuestes Stück abläuft, wiederholt sich - bei gedrehter Dekoration (Schauplatz jetzt hinter der Bühne, die man selber nur noch schemenhaft wahrnimmt) - als Premierenaufführung, bei der fast nichts so abläuft, wie es inszenatorisch geplant war. Zuletzt sieht man die Szene wieder in ihrem alten Zustand, und dort geht die eingespielte, nicht sehr anspruchsvolle Komödie zum x-ten, vielleicht sogar letzten Male über die Bühne. Und alles läuft noch schiefer als je zuvor. Aber zum Schluss gibt es einen fröhlichen musikalischen Kehraus, weil Regieassistentin Poppy von Regisseur Lloyd ein Kind erwartet.
Von Anfang an bis zu diesem beschwingten Finale lässt Sanchez seine Darsteller pausenlos über die Bühnenbretter feuerwerken; Thomas Müller (Garry) verwandelt sich geradezu in eine Rakete und bekommt Sonderbeifall für einen virtuosen Treppensturz. Über dieses Detailmoment hinaus sollte aber nichts erzählt werden. Regisseur und Schauspieler gehen der Klamotte nicht aus dem Weg, anders wäre es auch falsch. Bei aller schrillen Extrovertiertheit bleibt Wahnsinn eine der „genialsten Komödien“, wie Sanchez in einem Interview zu Protokoll gegeben hat. Sämtliche Darsteller sind mit Ektase dabei. Nicht alle können genannt werden, zumal man sie ohnehin noch näher kennenlernen muss. Namentlich aber doch wenigstens Sabine Orléans als körperhaft in sich ruhende Dotty, der stoische „Einbrecher“ Benjamin Höppner und der hysterische Lloyd von Bruno Cathomas.
Erfolgreiche Paukenschlag-Premiere also, die freilich noch keine endgültige Auskunft über die neue Mannschaft gibt. Freilich wurde sie vom prominent durchsetzten Publikum erst einmal ausgiebig bejubelt, auch die Bühnenarbeiter, welche die gesamte Dekoration ohne Drehbühne wiederholt komplett wenden müssen. Daher auch zwei Pausen. Die ganze Aufführung dauert nahezu vier Stunden.