Weibliche Behauptungskämpfe
Yasmina Rezas Ihre Version des Spiels beginnt fast wie der Empfang einer Königin. Dem städtischen Bibliothekar im kleinen Vilan-en-Volène, Roland Boulanger, ist es gelungen, die Erfolgsautorin Nathalie Oppenheim zur Teilnahme an einem seiner literarischen Abende zu gewinnen, um hier aus ihrem neuesten Roman „Das Land des Überdrusses“ auszugsweise zu lesen. Zwischendurch soll sie sich den Fragen einer Kulturjournalistin stellen. Auf der kleinen Bühne des Kölner Horizont-Theaters (mit ein wenig Mobiliar ausgestattet) brilliert zunächst einmal Thomas Wenzel mit einer selbstverliebten Ansprache Boulangers an das Publikum. In seinem Sendungseifer biegt dieser Möchtegern-Literat seinen Körper hin und her, aus seinem Mund träufelt klebriger Wort-Honig, Stimme und Blicke verraten Selbstverliebtheit. Eine köstliche Szene ohne Übertreibungen, wie sie hier leicht vorstellbar wären. Claudia Holzapfel, als Nathalie schick aufgemacht, das Haar hochgesteckt und im Auftreten ganz Dame, lässt die ganze Vorstellung mit etwas gezwungenem Lächeln über sich ergehen, reagiert auch höflich auf Boulangers verschämtes Geständnis, dass er sich als Gelegenheitsdichter versuche. So viel an Blümeranz. Dann aber naht die Journalistin mit dem kämpferischen Namen Rosanna Ertel-Keval.
Wie der Name, so die Dame. Mit marmorkalten, hochnäsigen Gesichtszügen und penetrant snobistischem Wortfeuer (eine Affront-Haltung, die Anne Schröder souverän, auf Dauer nur etwas variationsarm vorführt) beginnt sie ihr Interview. Nicht das geringste Kompliment als Einstieg, sondern sofort der verbale Angriff. Ihre These: jeder Schriftsteller schreibe letztlich über eigene Erfahrungen und Erlebnisse, lege also - mehr oder weniger verklausuliert - äußere intime Geständnisse, lege möglicherweise sogar eine Beichte ab. Nathalie streitet Bezüglichkeiten zwischen sich und ihrer Romanheldin durchaus nicht ab, sieht sich durch die hartnäckige Eins-zu-Eins-Parallelisierung jedoch missverstanden und sogar zunehmend verunsichert. Weitere Fangfrage ist, wieso sie, die eigentlich öffentlichkeitsscheue Autorin, sich ausgerechnet in einem kulturell am Rande liegenden Kleinstädtchen dem Publikum zu öffnen bereit sei? Nathalie reagiert immer verstörter und auch aggressiver. Selbst der sanftmütige und beflissene Boulanger vermag irgendwann nicht mehr zu beschwichtigen. Die Auseinandersetzung endet mit einem hochmütigen Angang Rosannas.
Ob bei diesem Streit neuerlich ein Gott des Gemetzels am Werk ist oder ob das Zerstören von Intimität in einem zunehmend medial durchleuchteten Zeitalter Gegenstand von Kritik sein soll, ist nicht immer ganz leicht zu entscheiden. Und vorzeitig zaghafter Beifall bei der Horizont-Premiere zeigte, dass der Finalteil, ein Fast-Besäufnis aller Beteiligter nach der Veranstaltung, an welchem sich auch der in Sachen Literatur beflissene, aber ziemlich rüpelhafte Bürgermeister beteiligt (wuchtiger Auftritt von Georg B. Lenzen), vielleicht nicht die zwingendste Abrundung darstellt. Die Feuilletons reagierten auf die Berliner Uraufführung am Deutschen Theater im vergangenen Jahr jedenfalls einigermaßen gemischt, was ich freilich auf das gesamte Stück bezog.
Katharina Cromme und Horizont-Hausherr Christos Nicopoulos lassen eine Schlacht mit blitzenden Wortmessern ablaufen, spitzen die verbalen Pointen Yasmina Rezas inszenatorisch zu, salzen die Pointen kraftvoll, loten aber auch leisere Stimmungen aus. In Claudia Holzapfel besitzt das Regieteam freilich eine ungemein differenzierungsfähige Darstellerin. Mit scheuen Blicken und nervösen Gesten zeichnet sie den zunehmenden psychologischen Verfall Nathalies beklemmend nach. Wer Schauspieler-Virtuosität liebt, kommt auf seine Kosten.