Zerreißprobe der Emotionen
Alles ist hin am Schluss - die kleine Familie, das Vertrauen, die Liebe, ja die Vorfreuden auf das ungeborene Kind, es gibt nur noch Lügen, Vorwürfe, Manipulation, Aggressionen und vielleicht sogar ein Tötungsdelikt.
In einen gemütlichen Abend des Ehepaars Danny und Helen (die schwanger ist) stürmt jäh deren blutverschmierter Bruder Liam und berichtet gehetzt und unsicher, einem Verletzten geholfen zu haben. Im Kreuzverhör seines grundsoliden Schwagers verstrickt er sich zunehmend in Widersprüche, bis er zugibt, einen vermeintlichen Araber grundlos zusammengeschlagen, gefoltert, auf eine Hobelbank gefesselt und mit Messerstichen traktiert zu haben. Helen verhindert es, Notarzt oder Polizei zu rufen, zumal ihr Bruder in fremdenfeindlichen Kreisen herumhängt, vorbestraft ist und einst durch seine Aggressivität eine Adoption der beiden frühen Waisen zunichte gemacht hatte. Für Helen ist daher ihre „Familie“ und vor allem ihr Bruder, dessen Gestik ein inzestuöses Verhältnis vermuten lässt und für den sie sich verantwortlich fühlt, das Wichtigste in ihrem Leben. Sie ist eine sehr starke Persönlichkeit, verlangt von ihrem Mann, den Verletzten – der die Identität seines Peinigers kennt – aufzusuchen, mit Drohungen gegen dessen Familie zu erpressen und ihn so zum Schweigen zu überreden. Danny zeigt sich widerstrebend loyal, zusammen mit Liam kommt er vermummt zurück und wischt seine blutigen Hände an der goldenen Wohnzimmertapete ab – das Ende der braven Bürgerlichkeit. Helen ist die Opportunistin, sie zeigt ihre Solidarität ebenfalls durch eine Sturmhaube.
Nur Danny erkennt noch das Grauen dieser ausweglosen Situation, er ist Mittäter, will das ungeborene Kind nicht haben, während Liam seine Tat entschuldigt: „Es gibt immer tote Katzen auf der Welt“. Offen bleibt der Schluss: Helen möchte ihr Kind behalten und fordert von Liam den Wohnungsschlüssel zurück. Damit verstößt sie ihren Bruder, stellt sich gegen die familiären Blutsbande zu Gunsten ihrer eigenen jungen Familie – ein Kind hat sie bereits. Hat sie den wahren menschenverachtenden Charakter ihres kriminellen Bruders und die Verzweiflung ihres ordentlichen Ehemannes erkannt und will mit ihm einen Neuanfang starten? Wird die Ehe in die Brüche gehen, oder wird Danny das Kind akzeptieren ? Denn sie scheint die Getriebene zu sein, die alles ungeschehen machen möchte, die sich ständig in einem Gummi-Mini-Planschbecken die Hände wäscht und panisch das Blut aus dem Hemd ihres Bruders zu entfernen versucht.
Dieses Becken ist vielleicht ein Schlüssel zur Deutung: Das Paar stellt sich gleich zu Anfang hinein als anregendes Bad, die Fußwaschung als Demutsgeste, das Waschen des Gesichts, um ein Bild wegzuspülen, der Hände zur Demonstration der Unschuld und die Reinigung des Hemdes von Missetat.
Die vertrackte Situation der drei Personen in einer zunächst scheinbar heilen Innenwelt und der Abgrund von Hass und Gewalt unter der bürgerlichen Schicht stellt sich hochspannend (Regie Sandra Reitmayer) und auf fast leerer Bühne dar, lediglich das Licht und die Stimmung wechseln. (Bühne und Kostüme Silvie Naunheim). Erschreckend ist die Ausweglosigkeit und furchtbare Konsequenz der Handlung, welche die subtile Spannung fast unerträglich steigert. Der Zuschauer sitzt fast gelähmt und mit zunehmender Gänsehaut vor dem schrecklichen Szenario, versucht die Personen zu durchschauen, ist aber unfähig eingreifen zu können. Moritz Heidelbach gestaltet überzeugend den verschlagenen und haltlosen Liam, der zwischen Lüge , Aggression, Hilflosigkeit und dem Verhältnis zu seiner Schwester hin und her pendelt. Die Darstellung von Katharina Waldau als seine Schwester Helen geht unter die Haut, ihre panische Angst, ihre Härte gegenüber ihrem Mann, ihre Nüchternheit und dann wieder ihre Bruderliebe – sehr überzeugend. Arne Obermayer als Danny entwickelt sich vom braven selbstgerechten Pedanten zum Verzweifelten, der erkennen muss, dass sich der Krieg eigentlich in der guten Stube abspielt und nicht draußen im Dunkeln auf der Straße und im Park, wovor er so viel Angst hat.