Versuch einer Annäherung
Die Kölner Studiobühne hat sich unter ihrem Leiter Dietmar Kobboldt zu einem der interessantesten freien Theater in NRW entwickelt, gut vernetzt, mit vielen qualitativ hochwertigen Aufführungen und innovativen Formaten. Das fünfzehnminuten – Festival ist so ein Format. Sechzig Vorstellungen an drei Tagen, ausgewählt nach der Reihenfolge der Einsendungen. Jeder darf mal eine Viertelstunde Theater ausprobieren. Bereits das erste, dreitägige Mini-Festival Anfang 2013 geriet zur Kultveranstaltung. Einer der Sieger war das Autorenkollektiv „F ANG“, dass jetzt die Chance erhielt quasi abendfüllend – die Aufführung dauert eine gute Stunde – Theater zu machen.
Die Bühne ist leer und wird nach hinten von einem weißen Vorhang abgeschlossen. Davor sitzt ein Mann mit dem Rücken zum Publikum auf einem Zuschauerstuhl. Neben ihm tritt eine Frau in einen Lichtkegel, zieht sich bis auf die Unterwäsche aus, schreibt sich „Ich bin Schauspielerin“ auf den Oberkörper, zieht sich ein blaues Kleid an und geht wieder. Über den Vorhang flimmern stumm Opern- und Stummfilmszenen, Wagner und anderes. Alles wirkt sehr groß, sehr übertrieben, schal komisch. Der Mann beginnt zu reden. Nach wie vor sieht er das Publikum nicht an. Er redet von der Faszination Theater und vom „Alltag“ eines Theaterbesuchers, alles durchaus regional in Köln verortet. Er redet gleichsam in Spiralen, kommt immer wieder an den gleichen Punkten an. Nach nicht mal einer halben Stunde ist Pause. Danach sehen wir auf der Leinwand die Schauspielerin Lena Kupke im blauen Kleid, die eine Schauspielerin mit Namen Lena Kupke spielt, die sich auf eine Vorstellung vorbereitet und von sich erzählt – und vom Leben am Theater und als Schauspieler. Wie schwierig das ist und so. Danach noch einmal der Mann, der Schauspieler Tim Stegemann. Er macht dasselbe wie im ersten Teil mit anderem Text und anderen Bildern. Irgendwann ist Schluss.
Drei Autoren nähern sich dem Theater an und versuchen sich als Regisseure. Ihr Blick kommt so sehr von außen, dass er manches Klischee nicht durchdringt, nicht in Frage stellt. Das müssen die Schauspieler tun, die das Theater ja kennen und folglich von innen schauen. Aus diesem Antagonismus leben die guten Momente und aus dem Zusammenfallen oder Auseinanderdriften von Worten und Bildern. Wirklich stark ist der Mittelteil. Hier spielen die Autoren-Regisseure und die tolle Lena Kupke erstaunlich souverän mit den Klischees. Sie geraten nie auch nur ansatzweise in die Versuchung, in die „Yasmina-Reza-Falle“ zu treten, also Klischees zwar aufzuspüren und bloß zu stellen, sie ansonsten aber nur elegant zu belächeln und nicht anzutasten. Lena Kupke kennt kaum Grenzen in ihrem leichtfüßigen Spiel mit den Identitäten, geht manchmal gleichzeitig zu weit und nicht weit genug und verweist so witzig, und vor allem ohne Larmoyanz, auf Probleme der Sichtweisen des Mediums Theater oder der Ausübung des Schauspielerberufes.
Der gut sprechende Tim Stegemann schafft dieses Niveau nicht. Wie auch. Er sitzt mit dem Rücken zu Publikum und redet entindividualisierten Text. Ihm ist keine Persönlichkeit zugewiesen. Er ist Mr. Everyone als Theaterbesucher, mal enthusiasmiert, mal genervt. Er mag keine Nackten sehen und nicht zu viel Drehbühne und Bernard-Marie Koltes und geht eher ins Stadttheater als zum Bauturm. Das ist alles bürgerlich mehrheitsfähig und wirkt von Beginn an etwas bieder.
Die Annäherung ans neue Medium ist nicht vollständig gelungen. Erfrischend ist der klare Wille zum Draußen-bleiben, das Sich-Verlassen auf Worte und die Tatsache, dass erkennbar viel Liebe und noch mehr Lust in der Aufführung stecken, die vielleicht noch wachsen, sich verändern kann. Aber wenn Matthias Beuger, Mario Frank und André Patten weiter Theater machen wollen, werden sie vermutlich doch die Grenze überschreiten müssen, um von drinnen nach draußen zu gucken – aufs Publikum. Und das könnte auch schön sein.