Das goldene Zeitalter im Dortmund, Schauspielhaus

Wiederholung und Variation bis zur Schmerzgrenze

Kay Voges startete am Dortmunder Schauspiel mit einem dreistündigen Abend in die neue Spielzeit, der den Zuschauer auf der Showtreppe zum Endlos-Entertainment des 21. Jahrhunderts willkommen heißt. Sechs Schauspieler, drei Männer und drei Frauen, mühen sich ab in zahlreichen Szenen, die häufig bis zum Exzess wiederholt werden – in Albernheiten, in Monotonie, in Traurigkeit und manchmal mit tief schürfenden Aussagen. „Das goldene Zeitalter liegt vor uns. Wir müssen es erobern durch unsere flammenden Herzen“, so das oft wiederholte, manchmal verfremdete Credo des Abends. Kay Voges kam auf die Idee, einen Abend über Wiederholungen des Alltags zu konzipieren, als er im Supermarkt wieder einmal Milch kaufte. Ein Theaterstück, mosaikartig aus zahlreichen Szenen und Versatzstücken zusammensetzt, deren Reihenfolge variabel gehandhabt wird. So dass jede Vorstellung neue Aspekte, neue Details bietet, anders gestaltet wird. Ein anstrengendes Konzept – anstrengend nicht nur für das Ensemble. Der Regisseur sitzt im Zuschauerraum und bestimmt den Ablauf bzw. greift ständig in das Geschehen ein. Der Musiker Tommy Finke und der Videokünstler Daniel Hengst modifizieren das Geschehen auf der Bühne auf ihre Weise. Zum Teil sehen wir es als Projektion auf der Leinwand im Bühnenhintergrund, mittels Split-Screen- Technik werden Eindrücke verdoppelt, vervierfacht. Eine Fülle von Impressionen prasselt auf den Zuschauer ein. Einzelne Sätze werden endlos wiederholt.
Wenn sich die Türen zum Zuschauerraum öffnen, hat die Aktion auf der Bühne schon längst begonnen. Die sechs Schauspieler – alle mit blonden Langhaarperücken, Matrosenkostümen mit Faltenrock und Kniestrümpfen uniform gekleidet wie japanische Schulmädchen – staksen steif-mechanisch wie Roboter nacheinander durch eine Tür im oberen Stockwerk des Bühnenbildes zwei Treppen hinunter, um unten durch eine weitere Tür wieder zu verschwinden. Die Körperbewegungen sind synchron bei allen gehalten. Individualität? Ein Fremdwort! Szenen aus der schwarz-weißen Tagesschau, dem alt bekannten TV-Ritual vergangener Zeiten, wiederholen sich ebenso wie der Auftritt von Sisyphos, der immer wieder einen Felsbrocken bergauf schiebt. Adam und Eva treten in ausgestopften Ganzkörperanzügen auf. Unter dem Baum der Erkenntnis versucht sie gefühlte hundert Mal, ihn davon zu überzeugen, etwas zu essen: „Schatz, du musst was essen“. Eine Schauspielerin zitiert eine Passage aus Tschechows „Drei Schwestern“. Ein großer Bär (“Erklär-Peer“, so sein Name auf dem umgehängten Schild) zitiert Kirkegaard und wird von Kalaschnikow, einer Mischung aus der schon bekannten Eva und Rotkäppchen mit MG, erschossen, wobei sie immer wieder bekundet: „Ich bin frei, ich bin ein Individuum“.

Ein Abend mit tollen Schauspielern, der fesselt und nervt, der einen jedoch auf keinen Fall kalt lässt. Auch ein Abend mit schönen Bildern wie der tanzenden Qualle oder der dicken grünen Raupe, aus der ein graziler Schmetterling schlüpft. Ganz gewiss kein Abend, den man vergisst.

Am Schluss verbeugen sich die Akteure nicht, es gibt keinen Schlussapplaus. „Fortsetzung folgt“ steht auf dem Eisernen Vorhang.