Das Leben - ein Traum
Rund 90 Jahre nach dem berühmten Cervantes-Roman um Don Quijote, den Ritter von der traurigen Gestalt, wurde von Thomas D’Urfey eine erste Theaterfassung hergestellt. Bis zu Michail Bulgakows Bearbeitung (1937/38, veröffentlicht 1962) sollten noch so manche folgen. Noch häufiger wurde der Stoff freilich von der Oper aufgegriffen, wobei die Version von Jules Massenet (1910) die jüngste und bekannteste sein dürfte. Derzeit wird das Werk erstaunlich häufig gespielt (als Nächstes in Wuppertal). Was den Komponisten besonders entzückte - die Lichtgestalt Dulcinea, wie sie das Drama von Jacques Le Lorrain (1904) schildert - war freilich eine Verfälschung von Cervantes‘ Intentionen. Denn alles, was Quijote wahrnimmt, ist lediglich eine idealistische Kopfgeburt, welche mit der realen Erscheinungswelt nicht übereinstimmt.
Mit seinem Roman versuchte Cervantes, gegen die seinerzeit modischen Rittersujets anzugehen, indem er die Erlebnisse Don Quijotes als weltentrückte Euphorien deklariert. Die Inszenierung von Stefan Herrmann am FWT verdeutlicht das, indem sie den Titelhelden immer wieder in einem kleinen Büchlein nachschlagen lässt, was denn nun zu tun oder zu lassen sei. Sein geistig eigentlich ziemlich simpler Begleiter Sancho Panza hat diese Verwirrung bald durchschaut. Doch spielt er das Spiel mit, von der naiven Heroik seines Herrn angezogen.
Stefan Herrmann, der vor einiger Zeit Goethes Wilhelm Meisterfür das FWT relativ originalgetreu einrichtete, will die Cervantes-Handlung nicht einfach nacherzählen, was auf der kleinen Bühne des Hauses auch nur schwer zu leisten wäre. Daniela Hohenberger hat sich bei ihrer Ausstattung für lauter Getreidebüschel entschieden, Naturmaterial, für das man sich nach Erprobungen mit Kunstmaterialien schließlich entschied. Das ergibt ein landschaftliches Bild, verlebendigt durch einige Projektionen (etwa in der Episode mit den Windmühlen). Eine rustikale Sitzgruppe sorgt für erzählerische Ruhepunkte.
Regisseur Herrmann verbindet die historische Geschichte mit dem Jetzt. Über Zeitungsannoncen hat das FWT 5 Kölner Bürger ausfindig gemacht, die manchmal eine Art „griechischen Chor“ bilden, doch vor allem autobiografische Erzählungen einstreuen. Die berührendste ist zweifelsohne die letzte. Da berichtet ein Mann von seiner 34 Jahre währenden, glücklichen Ehe, die durch den Krebstod seiner Frau schmerzhaft beendet wurde. Aber er gibt nicht auf, findet zu einer neuen Beziehung - freilich zu einem Mann. Ein spätes Coming Out. Ein Satz dieses Berichtes bleibt haften: „Träume nicht dein Leben, sondern lebe deinen Traum.“
Nicht alle Stories wirken gleich stark, doch sie alle geben dem Regiekonzept starken Halt. Die Darsteller-Protagonisten (Axel Gottschick/Quijote, Andreas Maier/Sancho Panza) wirken ausgesprochen typengerecht.