Ein Stück, das Zeugnis ablegt
Der kanadische Autor und Dramaturg Wajdi Mouawad wurde 1968 im Libanon geboren und verließ 1976 sein Heimatland mit seiner Familie, die zunächst nach Paris und dann nach Kanada flüchtete. Lange Jahre war ihm nicht bewusst, welche Beziehung zwischen dem Exil und dem Bürgerkrieg in der Heimat bestand, von dem er nichts wusste. Erst durch Reisen in den Libanon wurde ihm grausam klar, dass es nicht mehr das Land seiner Kindheitserinnerungen war: „Die Dinge sind nie genau so wie man sie sich vorstellt“. Verbrennungen will Fragen stellen, was war, was daraus geworden ist und welche Lehre man daraus ziehen kann. Im Hintergrund stehen die Erfahrungen des libanesischen Bürgerkriegs, auf der Handlungsoberfläche lernen wir die Zwillinge Jeanne und Simon kennen, die von ihrer soeben verstorbenen Mutter Nawal testamentarisch den Auftrag erhalten, ihren Vater und ihren Bruder zu finden. Schritt für Schritt begleiten wir sie dabei, wie sie die ungeheuerliche Lebensgeschichte Nawals – ihre Kindheit, ihr Leiden, ihre Haft, ihr jahrelanges Schweigen – kennen lernen. Wobei der Autor betont, sein Werk sei „auf keinen Fall ein Stück über die Notwendigkeit, seine Wurzeln kennen zu lernen,... vielmehr ein Stück über den Versuch, in einer unmenschlichen Situation sein Versprechen als Mensch zu halten“.
Verbrennungen ist spannend gebaut. Matthias Gehrt setzte es gekonnt in Szene – überzeugend, weil ohne effekthascherische Mittel. Die Bühne ist karg ausgestattet. Auf einer Schultafel werden mit Kreide Szenen mit kurzen Titeln angekündigt. Die Schauspieler warten, im Bühnenhintergrund auf einer Bank sitzend, auf ihren Einsatz. Eine große Leinwand zeigt schemenhaft Landschaften und ab und an Jahreszahlen. Bilder von Tod und Kriegsgräuel entstehen im Kopf des Publikums allein durch den sprachgewaltigen Text. Nawals Geschichte wird auf höchst spannende und anschauliche Weise erzählt. Dabei erfährt man immer wieder schlaglichtartig von den barbarischen Grausamkeiten des Bürgerkrieges. Verbrennungen ist aber auch ein Stück Aufklärungstheater. Nawal wird von ihrer Großmutter aufgefordert, zu lernen (lesen, schreiben, rechnen, denken), um ein eigenständiges Leben zu führen. Und auch so leitet sie ihre Kinder durch das Testament an, sich mit der Vergangenheit auseinander zu setzen und sie so zu verarbeiten.
Zweifelsohne im Zentrum der Produktion steht eine ausgezeichnete Esther Keil als Nawal. Überzeugend ihre Darstellung der Entwicklung vom jungen Mädchen zur alten Frau, anrührend intensiv ihre Emotionen, die sich ohne theatralische Übertreibung auf den Zuschauer übertragen. Christopher Wintgens spielt sehr verschiedene Rollen, den empfindsamen Anwalt, den brutalen Milizionär, den desillusionierten Arzt – allesamt sehr eindringlich. Auch die anderen Schauspieler entwickeln anschaulich ihre Figuren, so Henrike Hahn als Jeanne, Cornelius Gebert als Simon oder Helen Wendt als Nawals Freundin Sawda.
Ein überzeugender, sehenswerter und nachdenklich stimmender Abend mit einem sehr guten Ensemble.