Die Frau, die gegen Türen rannte im Wuppertal, Theater

Sachliches Psychogramm

Die Bühne ist ein kleines Podest, ausgestattet mit Insignien der Kleinbürgerlichkeit: ein billiges Sofa, eine alte Musiktruhe, ein Flokkati-Teppich. Auf dem Couchtisch steht eine volle Theater-Schnapsflasche. Die Möbel ragen über den Rand hinaus, hängen teilweise in der Luft. Geht die Schauspielerin an den Rand, schwankt die Bühne. Aus der Musiktruhe kommen durchgehend Geräusch- und Musikfetzen, als würde jemand permanent einen Sender suchen.

Das Arrangement zeigt, dass Regisseur Frank de Buhr dieses von Oliver Reese aus einem Roman von Roddy Doyle extrahierte Psychogramm einer Trinkerin nicht realistisch angeht. Es wird nicht verhuscht, wirr oder exaltiert gesprochen auf der Bühne, nicht randaliert. Die Schauspielerin ist nicht übertrieben geschminkt. Ihre Haare sind nicht strähnig, ihre Erscheinung nicht verwahrlost. Die Flasche auf dem Tischchen wird nicht angerührt.

Das Problem bei einem Ein-Personen-Stück ist immer die Haltung. Der Konflikt kann nur in der Protagonistin liegen. Wie zeigt man den? Einziger Kommunikationspartner ist das Publikum. Wie spricht man es an? De Buhr geht einen geraden, kunstvollen Weg.

Julia Wolff erzählt ihre Figur. Ganz einfach. Sie spricht klar, rund, oft fast sanft, selbst in den wenigen Ausbrüchen kontrolliert, in keinem Moment sentimental. Sie stellt – auf hohem Niveau - ihren Text zur Verfügung.

19 Jahre lang war Paula mit Carlo verheiratet. Sie hat ihn geliebt, hat vier Kinder von ihm. Er hat sie missachtet, geschlagen, auf jede erdenkliche Art misshandelt. Irgendwann hat sie ihn rausgeschmissen. Jetzt ist er tot, gestorben an einem misslungenen Verbrechen. Vorher hat er eine Frau umgebracht. Und Paula ist allein. Und trinkt.

Ab und zu dreht Paula das Radio auf und spielt einen alten Song aus den 70ern. Die 80er kennt sie nicht. Da war sie Ehefrau, Mutter und Opfer. Julia Wolff steigt tief hinunter an die Peripherie der Gesellschaft, aber der Text schwimmt oben, bleibt sachlich, literarisch eben. Eine Schulabbrecherin redet nicht so. Und rührt dennoch, besonders, wenn sie von ihrer ältesten Tochter spricht, auf die sie stolz ist, mit der sie so gerne ein freundschaftliches Verhältnis hätte. Aber sie trinkt eben. Und wird nicht aufhören. Die Straße führt nicht in den Abgrund, aber durch einen engen, endlosen Tunnel, vermutlich ohne Licht am Ende.