Übrigens …

Maria Stuart im Wuppertal, Theater

Große Aufführung

Auf der Spielplan-Pressekonferenz im Mai erklärte Schauspiel-Direktor Christian von Treskow, er würde Maria Stuart inszenieren, weil er es „nach vielen Jahren endlich verstanden“ habe. Dieses Versprechen hat er jetzt im Barmer Opernhaus glanzvoll und berührend eingelöst.

Treskow erzählt die Geschichte dringlich, hat Schillers Sprache nicht angetastet, aber explizit von heute her Haltungen dazu gefunden. Seine Menschen sind hin und her geworfen zwischen Machtgier und ganz banalem Bedürfnis nach menschlicher Wärme und Nähe. Zwischen den Versen blitzt sogar, sozusagen pränatal, die Ibsen’sche Lebenslüge auf. Alle diese Figuren glauben, zumindest zeitweise, ‚nur‘ dem Staat zu dienen, wenn sie ihre Ungeheuerlichkeiten begehen und von sich geben, selbst im Verfolgen der eigenen Ambitionen. Der Regisseur zeigt das wie im Brennglas und setzt zur Verdeutlichung jede Menge Distanzierungsmittel ein.

Dorien Thomsens Raum ist eine riesige, weiße, schiefe Ebene, eine Projektionsfläche im Wortsinn, auf der die Schauspieler barfuß  herumklettern, die Männer in grauen, stilisierten Anzügen, die Damen in schwarzen, ans Historische angelehnten Kostümen. Ständig ist unterschwellig Sphärenmusik zu hören. Man spricht mit Mikroports. Schwarz-Weiß-Filme illustrieren und intensivieren Schauplätze, zeigen Elend, Zerstörung und ein wenig Nachkriegsdeutschland als Folgen von politischem Handeln. Zwischen den Akten tritt ein junger Mann auf. Sinuskurven tanzen vor Sternenhimmel. Er klampft, scheinbar unbedarft, psychedelisch auf der E-Gitarre herum und singt unbekannte englische Songs mit bestrickend poetischen Texten. Das Programmheft belehrt uns, dass es sich um ins heutige Englisch übertragene Gedichttexte Schillers handelt.

Wider alle Unkenrufe sind Schillers Figuren nicht alt geworden. Sie gehen uns bemerkenswert viel an. Und auch wenn es Marco Wohlwend für den Leicester, der ja mit seiner Reise „zu Schiff nach Frankreich“ Elisabeth final ins Einsamkeits-Gefängnis stößt, etwas an Liebenswürdigkeit und Grandezza fehlt; wenn Andreas Ramstein ein wenig zu sachlich bleibt, zu abgezirkelt spricht, um das fast romantisch verblendete Gutmenschenkonzept zu füllen, dass die Regie so klar herausarbeitet, Wuppertal hat ein Ensemble, das der großen Herausforderung, Schiller ohne Netz und doppelten Boden im Jahr 2013 überzeugend zu spielen, mühelos gerecht wird. Jochen Langner steigert sich nach nervösem Anfang zu einem berührend integren Bewacher Paulet, Bernhard Majcen ist ein überhaupt nicht gefühlloser Exekutiv-Chef Burleigh und Anne-Catherine Studer schafft es, der an sich rein funktionalen Zofe menschliches Profil abzugewinnen. Heisam Abbas löst den Mortimer in bemerkenswert unaffektierter Weise vom Rollenklischee des weltfremden, idealistischen Bürschchens. Er ist wie die anderen, nur aktiver, was viele Vorgänge, und ehrlicher zu sich selbst, was seinen Selbstmord auslöst. Juliane Pempelfort ist Elisabeth, mal schmollende Göre, mal verantwortungsbewusste Mama, mal schutzlos verliebt in Leicester, meistens alles gleichzeitig, dabei immer charmant und glaubwürdig.

Wie viele Stücke steht und fällt Maria Stuart mit der Titelfigur. Hanna Werth macht aus einem idealistischen Konstrukt mit hysterischer Grundierung einen lebenden Menschen. Wie sie da sitzt, ganz still, zwischen projizierten Glasfassaden und von der Freiheit träumt, kann nicht kalt lassen. Ihre Wut glaubt man ihr, ihre Zickigkeit, ihre Ungerechtigkeit. Ob sie bei der Beichte die Wahrheit spricht, weiß man dagegen nicht. Überhaupt, die Beichte, oft gestrichen oder als zahnlos aggressive Kirchenkritik serviert. Hier setzt sich Maria einfach neben ihren Beichtvater – es ist Markus Haase, der Jüngling mit Gitarre – und sie reden miteinander wie alte Schulfreunde, nur eben Schiller. Dann singen sie ein Duett und Maria ist frei und geht sich enthaupten lassen. Alles ganz natürlich und schön.

Nach Kontrakte des Kaufmanns und Trilogie der Sommerfrische in den letzten beiden Jahren ist Christian von Treskow erneut ein umwerfender Spielzeitauftakt gelungen. Stets findet er Kraft und Distanzierungsmittel in den gewaltigen Strukturen und zeigt damit Menschen. Er lacht mit ihnen und weint über sie, immer wütend, immer zugewandt, nie sentimental. Und mit einem wohltuenden Schuss Gelassenheit. Man wird diesen Regisseur und diese Schauspieler sehr vermissen in Wuppertal.

 

n.