Krise von innen
Der renommierte Dokumentarfilmer Andres Veiel hat fünfundzwanzig Bank-Manager dazu gebracht, mit ihm über ihre Arbeit zu sprechen, ihren Stress, ihre Gier, ihre Lust am Spiel mit dem Risiko, ihre Ignoranz und ihre Ängste. Aus 1400 Seiten Gesprächsprotokollen hat Veiel einen abendfüllenden Theatertext erstellt, dessen seltsam anmutender Name übrigens auf ein Briefzitat von Gudrun Ensslin zurückgeht.
Das Thema ist brisant, der Text erschütternd, aber offensichtlich – das hat die starbesetzte Stuttgarter Uraufführung im Januar gezeigt – nur bedingt theatertauglich.
Bernadette Sonnenbichler nutzt in ihrer Inszenierung den Text eher als Anschauungsmaterial, stellt das Thema ganz in den Mittelpunkt – und gewinnt einen spannenden Theaterabend. Auf der Bühne der Kammer des Aachener Theaters stehen vier Pulte mit Mikrophon wie für eine Lesung. Auf die schwarzen Wände rund herum wird im Laufe des Abends immer wieder mit Kreide geschrieben und gemalt. Mehrfach wird eine Leinwand herein getragen, auf die Fernsehinterviews projiziert werden, von Gesprächen mit dem Autor bis hin zu absurden Äußerungen Horst Seehofers. Von Anfang an verzichtet die Inszenierung auf die vierte Wand. Die Schauspieler sprechen das Publikum bewusst an.
Schnell wird klar: dieses Himbeerreich ist ein Vortragsabend, eine Art Seminar. Es geht um das Verstehen. Was passiert da überhaupt mit dem Geld? Was ist der Finanzmarkt? Was macht der? Machen die Bänker was mit dem Markt oder der Markt was mit den Bänkern? Die Antwort ist: beides und alles. Das sechsköpfige Ensemble jongliert geschickt mit den synthetischen, jeweils aus mehreren interviewten Personen zusammen gesetzten Rollen, steigt aber auch immer wieder aus – um Ergebnisse zu sichern. Wird der Vortrag von Katja Zinsmeister etwa zu komplex, zückt Rainer Krause eine Fernbedienung und spult sie zurück. Sie wiederholt eine Passage und schon wird sie klarer. Derweil sprechen Torsten Borm, Tim Knapper und Karsten Meyer Parolen und Sentenzen ins Mikrophon, die Benedikt Voellmy am Sampler mit eigenen Keyboard-Akkorden und Meyers Gitarren-Riffs zu einer Art Soundtrack mischt, der sich einbrennt. Die unglaublichen Vorgänge und Verhaltensmuster, die zur großen Krise 2008/09 führten, werden durch das hervorragende Ensemble brennend plastisch nachvollzogen und sinnlich aufbereitet. Sei es durch die Zeichnungen Tim Knappers oder eine Art fahrbare Installation, die anhand von Reiskörnern fassbar macht, was für ungeheure Geldmengen da bewegt werden.
Das an diesem Abend fast durchgehend sehr junge Publikum verlässt das Theater nach kurzem kräftigem Applaus spürbar nachdenklich. Es ist allerdings nicht klar, ob es die gut gemeinten, aber sarkastisch unterminierten Ratschläge vom Ende der Aufführung beherzigen wird: „Man müsste mal wieder Marx lesen. Da steht das schon alles drin!“ und „Esst alle vom Baum der Erkenntnis!“.