„Ich glaube, wir sind alle tragisch“
Alan Ayckbourn ist einer der populärsten und erfolgreichsten Dramatiker Englands. Seinen Durchbruch feierte er 1967 mit Halbe Wahrheiten (Relatively speaking). Manche bezeichnen ihn als Boulevardier und Farceur, andere vergleichen ihn mit Molière und Ibsen. Ayckbourn selbst über sein Interesse zu schreiben: „Ich schreibe über Menschen und möglichst für alle Leute“ und insbesondere „über das Verhalten von Menschen in verschiedenen Situationen“. Wobei Ayckbourn nicht nur, wie so oft missverstanden, leichte Kost servieren will: „Ich überquere in meinen Stücken die schmale Brücke zwischen Tragödie und Komödie wahrscheinlich häufiger als andere“. Stromaufwärts wurde 1981 geschrieben, zu Thatcher-Zeiten, einer Ära, wo die sozial Starken in der Gesellschaft Englands das Sagen hatten.
Hermann Schmidt-Rahmer, der sich mit Inszenierungen von Jelinek-Texten einen Namen gemacht hat, führte in Bochum Regie.
Zwei Unternehmer, denen eine Firma gemeinsam gehört, machen mit ihren Frauen eine Urlaubsfahrt auf einem Hausboot auf dem River Orb – stromaufwärts, hin zur Brücke Armageddon. „Ein Boot ist wie die Gesellschaft im Kleinen“, sagt Keith voller Enthusiasmus. Über nautische Kenntnisse verfügt keiner der Mitreisenden, Probleme sind programmiert. Auch was die zwischenmenschlichen Beziehungen betrifft. Wer ist der Kapitän, wer übernimmt die Küche, wer liegt nur bequem in der Sonne? Wer regelt die aus der Ferne eintreffenden Hiobsbotschaften aus der Firma?
Im Verlauf der Reise bricht die kleinbürgerliche Scheinwelt zusammen. Die Konflikte spitzen sich bis ins Absurde zu, als ein Außenstehender als vermeintlicher Retter in der Not auftritt, der jedoch schnell brutal seine Positionen durchsetzt. Ayckbourn: „Es hat mich interessiert, warum manche Menschen zu Führern werden und wie wir Durchschnittsmenschen auf wirkliche Gefahr reagieren“.
Die Bochumer Inszenierung kommt mit wenigen Requisiten aus und dennoch erschließt sich dem Betrachter die Szenerie mühelos. So klebt zunächst ein Bühnenarbeiter die Bootsumrisse auf dem Boden der ansonsten kahlen Spielfläche ab. Und los geht’s. Michael Schütz (im Hawaiihemd, mit Baseballmütze) gibt überzeugend grobschlächtig und arrogant den dominanten Keith, der sich zu Beginn „gut aufgelegt“ gibt. Später dann ebenso nachdrücklich seine unangenehmen Seiten zeigt. Jürgen Hartmann spielt – ein ebenbürtiges Pendant – den soften Alistair, der sich als typisches Weichei vor jedem Konflikt drückt, was sich auch bestens an seiner Körpersprache ablesen lässt. Veronika Nickl spielt Keiths Frau June als verwöhnte Society-Dame, mal im Badeanzug mit Raubtierdruck, dann im langen Kleid. Xenia Snagowski ist Emma, Alistairs Angetraute, die sich im Laufe des Abends vom Mauerblümchen zu einer Frau mausert, die durchaus ihre Meinung sagen kann und dies auch besonders ihrem Mann gegenüber tut. Matthias Eberle spielt Vince, der etwas wie ein Großstadt-Che Guevara daher kommt (olivgrüne Montur, Springerstiefel). Betont dynamisch und fit, gibt er den Frauenversteher und gefällt sich in der Rolle des Diktators. Wobei Aufforderungen an das Publikum, z. B. den Namen bestimmter Schiffstrossen nachzusprechen, mehr als hemmend wirken. Reflektionen, die über den Ayckbourn-Text hinausgehen, verlangsamen das vorher spritzige Tempo der Inszenierung ungemein. So will Vince angeblich „eine Lanze brechen für die Menschen in der Gesellschaft, die nicht so schnell sind“. Alistair mokiert sich über den jungen Kollegen von der Schauspielschule und verteidigt Ayckbourn, dessen Stück gut genug sei, um es mit einem „twinkling eye“ zu spielen. Was soll dieser ach so humorvolle Exkurs? Auch die ausgedehnte Schlammschlacht zwischen Vince und Alistair gen Ende lässt manchen geistreichen Gag zuvor vergessen.
Schade. Der Text allein hätte wahrlich genügt, die Schauspieler-„Ehepaare“ überzeugen durch geist- und temporeiches Spiel. So geht man mit gemischten Gefühlen aus dem Theater.