Übrigens …

Leonce und Lena im Bonn, Theater

Juppieduuh, juppieduuh, juppieduuh

Georg Büchner wurde vor genau 200 Jahren, am 17. Oktober 1813, geboren. Gut 23 Jahre später war er tot – der Typhus hatte ihn dahingerafft. Seine politischen und gesellschaftspolitischen Dramen und Schriften – Dantons Tod, Woyzeck, die Flugschrift Der Hessische Landbote – und auch seine Künstler-Erzählung „Lenz“ werden einhellig geschätzt; an seinem Lustspiel Leonce und Lena scheiden sich die Geister. Zumindest die der Theaterbesucher: Das Stück über die drohende Zwangsehe des Prinzen Leonce aus dem Reiche Popo und der Prinzessin Lena aus dem Reiche Pipi, die vor einander fliehen, sich auf der Flucht zufällig begegnen und einander lieben lernen, finden manche Menschen bloß albern und banal. Dabei kann man es auf so vielfältige Weise lesen: als Satire über den begrenzten Horizont von Provinzpolitikern, als ironisch-gesellschaftskritischen Kommentar über die Nutzlosigkeit von Oberklassen-Dandys, als schwebend leichte, melancholische Komödie im Geiste von Dada oder Absurdem Theater, als Reflektion über Eskapismus oder Effizienzstreben. Alle langweilen sich ganz furchtbar im ereignisarmen Kleinststaat, allen voran König Peter, der sich so gerne freuen möchte. Das heißt keineswegs, dass sich auch Leser oder Zuschauer langweilen müssen. Bei Georg Büchner, so schreibt Wilhelm Genazino, „wird Langeweile nicht vertrieben, sondern angenommen.“

Johannes Lepper hat vor sechs Jahren für das Theater Oberhausen eine großartige, vom brillantesten Arrangeur der Langeweile Christoph Marthaler beeinflusste Inszenierung eingerichtet und dabei den Müßiggang und die Veränderungsresistenz unserer Gesellschaft frontal angegriffen. Mirja Biel und Joerg Zboralski gehen jetzt am Theater Bonn in einer Neuinszenierung ihrer erfolgreichen Arbeit am Theater Bremen aus 2011 den umgekehrten Weg: Sie stimmen ein Loblied auf Arbeitslosigkeit und Müßiggang an und verhohnepipeln alles, was auch nur im Entferntesten nach Leistungsgesellschaft und Erfolgsstreben, nach Ehrgeiz oder Effizienz klingt. Ihr Ehrgeiz geht auf eine bunte Jacke. Und ihr Loblied ist genau genommen nicht nur ein Lied, sondern ein buntes Liederalbum mit vertonten Büchner-Texten, mit Eigenkreationen, die dichterische Hochintelligenz verraten („Juppieduuh, juppieduuh, juppieduuh“), mit Chris Isaaks „Wicked Game“ und mit „Lass uns Drogen nehmen und rumfahren“ aus Bernadette LaHengsts „Sisters and Brothers“ Album.

Den Song aus dem LaHengst-Album interpretierte seinerzeit Knarf Rellöm. Diesen Herrn kann man umgekehrt lesen, was wiederum zu dem manchmal eben doch unvergleichlich dämlichen Humor von Büchners Stück passt. In Bonn steht nun eben jener Knarf Rellöm an der Rampe, verkleidet als Georg Büchner persönlich. Er gibt den Conferencier des Abends und singt: „Wir haben eigentlich kein Problem, von dem wir erzählen wollen…“. – Exakt das aber ist das Problem: Die gelassene Entspanntheit des Songs, die Verweigerung jeder Climax prägt den gesamten Abend. Von Anstrengung keine Spur, von Stimmungswechseln auch nicht. Manchmal ist das lustig: Da wird gekalauert, was das Zeug hält, manches Wortspiel funkelt vor Witz, aber manche Gags schmecken auch fad; vieles ist l’art pour l’art. Wenn Leonce und Valerio gen Italien aufbrechen und ein munteres „Brüder, zur Sonne zur Freiheit“ unmittelbar in „Pack die Badehose ein“ übergeht, dann huscht ein Lächeln über das Gesicht des Rezensenten. Nur: wenn die ganze Aufführung in diesem Stil dahinplätschert, dann wird das Lachen nachsichtig wie im Schultheater. Was wiederum auch nicht fair ist: Denn zumindest die beiden Damen, Jutta Keiling als Rosetta und Johanna Falckner als Lena, singen ganz prächtig und mit angenehm ironischem Unterton. Sören Wunderlich als Valerio ist gar ein Anchor Man für die Aufmerksamkeit des Büchner-Freunds: In seinen besten Momenten gibt Wunderlich seiner Figur die Tiefe eines shakespeareschen Narren. Glenn Goltz erreicht als König Peter nicht die rührende Tragik oder die poetisch grundierte Absurdität, die wir in anderen Inszenierungen bei dieser Figur gesehen haben, aber wenn er mühsam und teilweise vergeblich in seinen Erinnerungen kramt, eine beginnende Demenz erkennen lässt, dann findet er momentweise zu der Melancholie und Traurigkeit von Martin Baltscheits „Fuchs, der den Verstand verlor“.        

Büchners Text wird angereichert mit einer Batterie von Zitaten einer höchst heterogen zusammengesetzten Combo: von Charles Baudelaire und James Bond, von Paul Lafargue und den Glücklichen Arbeitslosen, von Oscar Wilde und Peter Handke. Von Dandys und Bohemiens also, von Experten des Müßiggangs und Forschern über die Müdigkeit. Lars Figge hat schöne Videos mit poppigen Farben gedreht, in denen wir die Traumreise der Protagonisten nachvollziehen können; „the world is on fire“, wenn Lena im knallroten Kleid durch den quietschgrünen Videopark tollt. Aber auch die Videos sind affirmativ zu dem nonchalanten, lässigen Humor der Aufführung, setzen keine Widerhaken oder Störer und regen kaum zum Nachdenken an. Die Älteren mögen sich erinnert fühlen an „Eins“, Ulrich Schamonis Farce aus dem Jahre 1971 über einen mit Wein, Weib und Roulettespiel sich durchschlagenden Aussteiger-Kapitalisten – eine wunderschöne, lockere Urlaubskomödie, deren gesellschaftskritischer Hintergrund nicht durchschlug. Ich mochte den Film damals; den Intellektuellen hatte er zu wenig Tiefgang. Vielleicht liegt’s am Alter: Mir und meiner Entourage war nun Biel/Zboralskis Leonce und Lena“zu seicht. Das vorwiegend jüngere Publikum applaudierte jedoch lebhaft.