Die Gegenwart holt die Zukunft ein
Ein böses Stück, eine fiese Satire und doch ein lachsicherer Schwank: Alan Ayckbourns Boulevard-Komödie (?) Ab jetzt. Intendant Thorsten Weckherlin inszenierte die „Zukunftsvision“, die von der internationalen Gegenwart längst eingeholt wurde, in der fast ausverkauften Dinslakener Kathrin-Türks-Halle. In seiner Begrüßung wiederholte er: Das Ganze sei ein Jux, man solle die Sache also nicht „zu“ ernst nehmen. Aber man kann sich ziemlich sicher sein, dass der Autor von der britischen Insel, ein Magier des flüssig-entlarvenden Dialogs und der komplett überdrehten Situationen, es sehr ernst meint mit seinen Figuren und seinem Themenbereich. Aber er verpackt die Bühnenstory (Uraufführung 1987) in den typisch tiefschwarzen englischen Humor. Der geht ganz schön unter die Haut – das gilt auch für Weckherlins Einstudierung auf der vermüllten Trash-Szene von Kay Anthony.
Ayckbourns Kritik am Macho-Gehabe, an der medialen Überflutung, an Fortschrittswahn und außer Kontrolle geratener Gewalt im Alltag kommt scheinbar als muntere Spielwiese für eine Love-Story daher: Der erfolglose Komponist Jerome (Matthias Fuhrmeister), der von seiner Frau (Barbara Portsteffen) getrennt lebt und sich nach seiner Tochter Geain (Sarah Garrettson) sehnt, lädt sich über einen Hostess-Dienst eine junge Schauspielerin ein, die ihn durch einen für ihn „entscheidenden“ Tag begleiten und als Garant für eine friedlich-familiäre Atmosphäre dienen soll – denn das Jugendamt samt „Ex“ und Juniorin haben sich angesagt. Doch der Musiker ist selbst nur noch ein komischer Kauz, der mit einem von ihm entwickelten, brabbelnden Roboter zusammenlebt und der verzweifelt versucht, aus „live“-Geräuschen und –Gesprächen eine „sensationelle Mixtur“ für ein neues Musikopus zu finden. Dabei verprellt er seine Umwelt…
Sieht das Ganze zunächst so aus, als handele sich bei der Komödie um eine heutige Version von Der Widerspenstigen Zähmung oder auch um eine Parabel auf die populäre Spiegelung von „Theater auf dem Theater“, so überrollt Ayckbourn das Visionäre mit einer bedrohlichen Nähe. Immer böser, bitterer, gemeiner spitzt sich die Tür-auf-Tür-zu-Lachnummer zu. Ayckbourn, Jahrgang 1930, der schon für viele pointenreiche Theaterspäße sorgte, zielt auf ein menschliches Endspiel – die Katastrophe findet im häuslichen Umfeld statt. Und draußen? Da tobt der Terror mit den „Töchtern der Finsternis“, die blutige Jagd auf das „normale“ Leben und Londoner Hochhausbewohner machen.
Ein anstrengendes, anspruchsvolles, nur scheinbar biederes Stück, das Weckherlin bemerkensgut gut und schnell in den Griff bekommt. Er balanciert ständig auf dem Grat zwischen Absturz und Aufbruch, Verzweiflung und Freude-Friede-Eierkuchen. Nicht alle Möglichkeiten des Textes und der moralischen und sozialen Tiefe lotet er aus, aber das schillernd und doppelbödig Komödiantische verliert er nie aus den Augen. Und sein Ensemble garantiert diesen grantigen Tanz auf dem gesellschaftlichen Vulkan mit Gelassenheit, Spielwitz, Selbstverleugnung und satirischen Mitteln. Matthias Fuhrmeister als gescheiterter Single, Barbara Portsteffen und Lara Christine Schmidt in den Doppelrollen (sie tauschen zusätzlich die Partie des hinkenden Kunst-Maschinen-Menschen („Gou 300 F“) sowie die aus der Art geschlagene Geain alias Sarah Garrettson haben ihren schauspielerischen Spaß an Ayckbourns Chaos-Tirade. Der Autor, übrigens selbst Leiter eines Theaters und gern als „Moliere der englischen Mittelklasse“ bezeichnet, hat vielleicht bessere Komödien geschrieben. Aber „Ab jetzt“, von Peter Zadek übersetzt und erstmals in Deutschland inszeniert, besitzt thematische Abgründe, die bisher kaum in dieser Härte und Entschlossenheit als Lachtheater des Schreckens auf die „Bretter“ kommen. Dieses Lachen kann beim Publikum, das lebhaft applaudierte, bald schon im Hals stecken bleiben.