Verbale Wasserfälle
Da hat das FWT aber schnell zugelangt. Bereits anderthalb Monate nach der Frankfurter Uraufführung (12.10.) fand Felicia Zellers X-Freunde den Weg an das Theaterhaus in der Kölner Südstadt. Mit einem Erfolg nota bene, wie man ihn vor Ort schon lange nicht mehr erlebt hat. Der starke Beifall gilt freilich auch der witzigen Inszenierung Kay Links und den virtuos aufgedrehten Darstellern. Obwohl man sich teilweise wirklich schenkelschlagend amüsieren kann, bringt die Aufführung das Kunststück fertig, hinter dem unentwegten verbalen Maschinengewehrfeuer auch Abgründiges, Leeres und emotional Ausgebranntes zu zeigen. Ganz im Sinn der Autorin, die trotz allem Wörterwahnsinn und zirzensisch zugespitzten Situationen ihr Stück nicht als bloße Komödie verstanden wissen will, sondern zeigen möchte, dass „Traurigkeit und Lustigkeit nur eine Silbe voneinander entfernt“ liegen.
In Frankfurt sahen nicht alle Kritiker diesen Anspruch durchgehend erfüllt. „Anfangs noch amüsiert, dann gähnend gelangweilt“, bilanzierte ein Rezensent (wobei auch Bettina Bruniers Inszenierung rundum einige Schelte erfuhr), ein anderer lobte hingegen ein „wirklich starkes Stück Theater“. Da kann es so falsch nicht gewesen sein, dass X-Freunde für den Mühlheimer Theaterpreis vorgeschlagen wurde, wie es zwei Jahre vorher auch bei Gespräche mit Astronauten geschah. Kaspar Häuser Meer erhielt vor Ort den Publikumspreis.
Auf der Homepage der 1970 geborenen Autorin findet sich eine Textprobe aus Bier für Frauen (2001). So etwas muss man abschreiben, könnte es - eine Aufführung verfolgend - ganz sicher nicht mitschreiben. Felicia Zeller formuliert zwar nicht gänzlich interpunktionslos wie etwa Elfriede Jelinek, aber ihre Kommata strukturieren nur geringfügig und helfen eher den Darstellern als dem Zuschauer. Dieses sieht sich in X-Freunde mit einem Wortschwall überflutet, der kaum Pausen und Übergänge kennt, sich mitunter in sich selber verkrallt und vor lauter Hasten die Kontrolle über sich zu verlieren scheint. Dabei pflegt die Autorin erst nach lautem Selbersprechen endgültig zu formulieren. Das häufige Stoppen und variierte Wiederaufnehmen von Text wirkt wie ein tiefes Atemholen, wohl schon schriftlich vorgegeben, aber durch die Regie wirkungsvoll verstärkt.
In einer Danksagung bei der Entgegennahme des Hermann-Sudermann-Preises erläuterte Felicia Zeller ihre Absichten expressis verbis: „In meinen Texten geht es immer um Überlebensstrategien von Menschen, die in einem (sozialen) System festsitzen, das sie als falsch empfinden, aber dennoch verteidigen, um sich selbst zu verteidigen.“ In X-Freunde sind dies das Ehepaar Anne und Holger sowie deren Freund Peter. Holger, gelernter Koch, ist arbeitslos geworden und versucht etwas zwanghaft seine Wohnung gemütlich und heimelig zu gestalten. Hin und wieder muss er sich aber auch um Peter kümmern, einen Bildhauer, der sich mitten in einer Schaffenskrise befindet.
Ein gänzlich anderer Typ ist Anne. Sie ist hochgradig selbstbewusst, hat ihrer ungeliebten Agentur gekündigt und versucht, sich eine eigene aufzubauen. Das geht nicht ohne ständiges Telefonieren und Reisen. Damit setzt sie sich permanent unter Strom, kann sich nicht auf private Gespräche und Probleme konzentrieren, bleibt selbst in einem endlich mal realisierten Urlaub umtriebig. Die Szene, wo sich Holger seiner Frau liebevoll zu nähern versucht, sie aber auch in dieser Situation geschäftlich absorbiert bleibt, gehört zu den skurrilsten in Kay Links Inszenierung. Köstlich schon zuvor Annes Solo, wo sie, den Telefonhörer in der Hand, ein Kleid zu wechseln versucht. Johanna Paliatsou spielt das wahrhaft brilliant und zeigt sich aus sprachlich hochgradig virtuos. Sunga Weineck kommt ihr als Peter nahe, vor allem, wenn er weinerlich seine Rückenschmerzen demonstriert. Holger ist im Vergleich dazu eine relativ „ruhige“ Partie, bietet aber gleichfalls etliche Verzweiflungseuphorie. Thomas Hupfer porträtiert den ewig Zurückgestoßenen intensiv.
Holgers Freitod, den Anne über die Länge eines ganzen Tages überhaupt nicht registriert, lässt in dem wortwirbeligen Stück kurz den Atem stocken. Vor allem Annes Kommentar versetzt einen Tiefschlag: „Der Zeitpunkt seines Todes kam mir ungelegen.“Aber er befreit wohl auch. Während Peter endlich mit seiner Skulptur weiter kommt, kann sich Anne gänzlich ungestört in ihr hermetisches Gedankengebäude zurückziehen und ihrer Karriere weiterhin zwanghaft frönen. Es ist ein Clou der Inszenierung, dass sie mit ihrem Telefongeschnattere noch einmal die Bühne betritt, wenn der Publikumsbeifall die Schauspieler eigentlich schon entlassen hat.