Übrigens …

Genesis im Köln, Schauspiel

Inszenatorisches Mammutunternehmen

Mit Streik von Ayn Rand hat sich Kölns neuer Schauspielintendant Stefan Bachmann in den Kreis seiner Hausregisseure eingereiht. Genesis ist eine Übernahme vom Vorjahr aus dem Schiffbau Zürich, der Außenspielstätte des dortigen Schauspiels. Der Transfer nach Köln war nur möglich, weil hier gegenwärtig mit Depot 1 (im Mühlheimer Carlswerk) ebenfalls eine enorm große Halle zur Verfügung steht. Ein so steil aufragendes Bergmassiv, wie von Simeon Meier hingewuchtet, würde die Dimensionen einer traditionellen Guckkastenbühne sprengen. Auch die Raumweite um dieses Zentrum herum steigert die Wirkung der Aufführung.

 „Genesis“ ist das 1. Buch Moses. Es gibt derer fünf, wobei die mit dieser Bezeichnung verbundene Autorenschaft (nämlich Moses) von der Wissenschaft als mittlerweile widerlegt gilt. In der jüngeren Forschung werden auch neuere Namen in Zweifel gezogen. Die Vorgänge der Genesis sind deckungsgleich mit jenen des Bibelbeginns. Hier wird bekanntermaßen zunächst die Erschaffung der Welt geschildert, wobei Gott übrigens eher wie ein Experimentator wirkt denn als selbstsicherer Schöpfer. Der gestalterischen Vollkommenheit seiner Visionen ist er sich durchaus nicht gewiss. „Und Gott sah, dass es gut war“. Das drückt sowohl Bestätigung nach jedem Schöpfungstag aus wie auch Erleichterung über ursprünglich gehegte Zweifel. Somit ist Genesis, dieses „Weltepos, Urquell unserer Erzählkultur“ (Bachmann), eine Erfolgsstory mit Anführungsstrichen. Nicht von ungefähr muss Gott in die Entwicklung irdischen Geschehens strafend eingreifen, nachgerade gewalttätig in Form der Sintflut.

Das Interesse des Regisseurs an der Bibel entspringt keineswegs einem dezidiert religiösem Impuls. Das kirchlicherseits oft gepflegte „Psalmenpathos“ hat ihm seit jeher widerstrebt. Den Respekt vor dem Stoff tangierte das allerdings nicht, der ist im Laufe der Jahre sogar gewachsen, was sich auch auf die inszenatorische Arbeit auswirkt. Als junger Mensch hätte Bachmann (Jahrgang 1966) mit Sicherheit, wie er in einem Interview zugibt, in den Text eingegriffen, gestrichen und vielleicht mit Fremdmaterial angereichert. Mittlerweile ist er auf größere Einfachheit aus, bei Bedarf durchaus mit „kindlicher“ Akzentuierung. Seine Genesis ist also authentische Umsetzung eines vorgefundenen Textes, ungekürzt bis in die manchmal etwas nervigen Aufzählungen dynastischer Gegebenheiten und Herrschernamen hinein. Die bandwurmartigen Nennungen unzähliger Kindzeugungen in einem Alter, von dem unsere heutige Medizin nur träumen kann, macht oft genug lächeln. Das alles führt zu einer Aufführung von fast sechs Stunden, bei denen freilich zwei Pausen in Rechnung zu stellen sind, die letzte mit einer Einladung an das Publikum zur Stärkung durch einen hausgemachten Eintopf.

Der „Genesis“-Text ist reine Prosa, durchflochten allerdings von Passagen in direkter Rede. Die ersten 45 Minuten gehören Gott und seinem Schöpfungsbericht. Michael Neuenschwander in schwarzem Dress und mit Hut sitzt auf der linken Bühnenseite an einem Buchpult. Von ein paar Gängen abgesehen ist das Ganze ein Leseabend, worauf Rezensionen der Züricher Uraufführung fast alle angespielt haben, so dass man der Kölner Version mit einiger Skepsis entgegensehen mochte. Wenn man bereit ist, optische Ruhe als Qualität zu verstehen und die rhetorische Variationsbreite des Schauspielers als belebendes Element in sich aufzunehmen, wird man in dieser gedehnten Introduktion jedoch eine starke Innenspannung ausmachen können. Später gewinnt der Text durch „verteilte Rollen“ naturgemäß an Lebendigkeit. Als erstes werden Abraham (Niklas Kohrt) und sein Weib Sarah (in ihrer leisen Präsenz besonders beeindruckend Annika Schilling) zu lebendigen Individuen. Es folgen Berichte über die Ausdehnung der Menschen über die Erde, über Gottes Einsicht in die moralische Endlichkeit seiner Geschöpfe und schließlich ihre Bestrafung durch die Sintflut, welcher nur die Arche Noahs mit ihren ausgewählten Insassen entkommt. Abraham wird zu Gottes Auserwähltem, ebenso Isaac und Joseph, dessen Zwist mit seinen Brüdern das letzte große Kapitel der „Genesis“ bildet.

Stefan Bachmann steigert die Farbenfülle seiner inszenatorischen Bilder geschickt, auch mit Hilfe der malerischen Kostüme Annabelle Witts. Das Personarium wird langsam größer, vereinigt im Josephs-Finale das gesamte Ensemble, welches im übrigen durchgehend Mehrfachrollen zu bewältigen hat. Mit Ironismen lockert Bachmann die Schwerlastigkeit mancher Vorgänge auf, wobei die musikalische Einlage, bei welcher Stefko Hanushevsky als Großknecht Abrahams die Panflöte synchronisierend zu Lautsprecherklängen spielt, eine reichlich ausgedehnten Showszene ergibt. Das Ensemble, dessen Mitglieder man langsam individuell kennenzulernen beginnt, spielt merklich motiviert und körperintensiv. Kleine Einwände gelten Marek Harloff, dessen manchmal etwas schnarrende Stimme mit der Lichtgestalt des Joseph nicht immer ganz harmoniert.