Vom Sterben und von der Einsamkeit
Zu Beginn intonieren sie vierstimmig ein getragenes Volkslied und hüllen den Raum in intensive Melancholie. Die wird die ganzen 70 Minuten bleiben. Eine Art atmosphärisches Bühnenbild. Dieses letzte Einhorn ist anders als das, was man von Candlelight Dynamite so kennt. Kein frei schwingender, archaischer, mit fantasievollsten, unaufwendigsten Mitteln herausgekitzelter Witz zum Zwecke des Erzählens an sich. Hier sind alle eingesetzten Mittel Diener einer tieftraurigen Geschichte mit einer Art Lieto Fine, aber ohne eigentliches Happy End.
Ein Einhorn lebt in einem Wald und erfährt durch einen Zufall, dass es das letzte seiner Art ist. Es macht sich auf die Suche nach seinen verschwundenen Geschlechtsgenossen, findet Begleiter, erfährt unter schmerzhaften Umständen und -wegen, dass diese vom Roten Stier ins Meer getrieben worden sind und kann sie schließlich befreien. Und geht in seinen Wald zurück, mit neuem Bewusstsein seiner Einsamkeit.
Das Ganze basiert auf dem 1968 erschienenen Fantasy-Roman von Peter S. Beagle, der viele aus der Mythen- und Sagenwelt entlehnte Motive enthält, aber auch viel Ironie – und überraschend viel Poesie. Die legt die Regisseurin Cornelia Schäfer bloß wie nebenbei. Mit einfachsten Mitteln und ohne Angst vor Pathos. Als Teil vieler Geschichten. Die kleine mit den schwatzenden Schmetterlingen. Die größere vom Zauberer Schmendrick, der erst in der Not zu seiner Begabung findet. Die große vom böse-depressiven König Hagarth, der nur Ruhe findet, wenn er auf die Brandung schaut, auf die Einhörner, die zu Schaumkronen geworden sind und von seinem schüchternen Sohn Lear, der unter der Omnipotenz seines Vaters leidet. Die witzige vom Räuberhauptmann Cully, der alles raubt, was ihm vor die Flinte kommt, aber tut als sei er Robin Hood. Und natürlich die vom Einhorn, von der Asozialität, die trotzdem Gutes tut, aber auch Wunden schlägt.
Die vielen schweren Themen, von der Einsamkeit, vom Sterben, vom Weltuntergang, vom Gutsein, vom Versagen und von der Welt, in der nur die Bösen und Dummen lachen, werden mit einer solchen theatralischen Selbstverständlichkeit aufbereitet, dass die vielen Kinder in der Premiere die ganz Zeit voll konzentriert dabei bleiben und am Ende ein Leuchten auf den Gesichtern haben.
Das liegt am Mut zum puren, manchmal fast unangenehm nackten Erzählen und am Umgang mit Raum, Licht und Requisiten, vor allem aber an der fast unheimlichen Vitalität der Schauspieler, die sich ganz auf ihre Körper, Gesichter und Stimmen verlassen. Dennis Geyersbach ist fröhlicher Räuberhauptmann, schnaubender Stier und schüchterner Prinz, immer charmant, immer intensiv. Alessa Kordeck jagt einem als fiese Hexe, besonders aber als in sich gefangener König mit Krone und Handschuh mit größter sprachlicher Präzision Schauer über den Rücken. Insa Jebens spielt den Schmendrick ganz mit sich selbst beschäftigt und hinreißend nüchtern und Katharina Schmidt verleiht dem Einhorn mit leisem Charme eine bezwingende selbstgewisse, fast arrogante Verlorenheit.