„Vielleicht ist es schon losgegangen?“ (Martin Heckmanns)
In Martin Heckmanns Stück Es wird einmal, das Anselm Weber jetzt in den Bochumer Kammerspielen zur Uraufführung brachte, ist die Bühne ein Experimentierplatz für allerlei Varianten des Theaterspiels.
Das Bühnenbild ist karg. Ein in grau-weißen Tönen gehaltener rechteckiger Raum mit einem stilisierten Baum (Beckett lässt grüßen), einem Laufband (ein Zeichen „für unsere Fitnessgesellschaft… wir halten uns in Form und kommen nicht vom Platz“) und einer runden Öffnung in der Decke, die den Blick in einen Sternenhimmel frei gibt.
Martin Heckmanns tritt in große Fußstapfen, wenn er mit seinem Stück die Jedermann-Tradition aufgreift, um in einer verallgemeinerten Form auf der Bühne Leben und Sterben beispielhaft durchspielen zu lassen. Die Regieassistentin Dora, die die Leitung statt des durch Abwesenheit glänzenden berühmten Regisseurs Obermann bemüht-energisch übernimmt, gibt den Schauspielern vor, was zu tun ist: „…wollen wir nun gemeinsam Figuren und Allegorien entwerfen und verkörpern“, um „in anderer Gestalt ein Leben zu spielen im Zeitraffer als Testverlauf“.
Es beginnt mit einem Prolog der namenlosen Hospitantin (Kristina Peters), die den Zauber des Theaters beschwört, den „erhellenden Moment der Gemeinschaft“ zwischen Publikum und Bühne. Dann tritt Günter Alt als älterer Herr Hermann Schwinder auf, der den Prototyp eines Schauspielers der Peymann- oder Zadek-Zeit verkörpert und der schon lange nicht mehr im Geschäft ist. Er hofft, bei dem angesetzten Vorsprechen bei dem bekannten Regisseur Obermann, dessen legendäres „Düsseldorfer Welttheater“ er siebenmal besucht hat, auf eine neue Rolle. Sein Konkurrent ist Martin Neumann (Matthias Kelle), ein jüngerer Mann, der sich in erster Linie als Performer versteht und mit klassischer Schauspielkunst nichts im Sinn hat. Klugschwätzig erläutert er seine Sicht eines Performers: zum Beispiel zu zeigen, „was sich wie überträgt in ein anderes Weltbild“ oder warum „die Bedeutung der Stille“ für ihn eine „Meditation über die Abwesenheit“ ist. Die Dritte im Bunde ist die Laienschauspielerin von der Straße Sophie Sikora (Therese Dörr). Sie glaubt an die Magie des Spiels, der Geschichten: „Wir haben die Kunst, damit wir nicht an der Wahrheit zugrunde gehen“. Dora (Minna Wündrich gibt sie als toughen Macherinnentyp mit knappen Kommandos wie „Lichtwechsel“, „Musik“) lässt die drei Casting-Kandidaten in verschiedene Rollen und Kostüme schlüpfen. Wir sehen unter anderem eine Liebesszene, einen Exkurs in den Schulalltag einer Primarstufe, Alt glänzt als Helmut Kohl („als einfacher Bauer auf dem Acker der Marktwirtschaft“), Kelle läuft nackt „in Ermanglung eines königlichen Hemdes“ als König durch die Reihen, Dörr ist einmal Heidi Klum (so wird auch die Medienfacette bedient). Und auch das Thema Konsumgesellschaft darf nicht fehlen: Alt verkauft Keller Düfte, die „möglicherweise unwiderstehlich machen“.
Heckmanns spielt mit Klischees, mit klugen Zitaten (von Adorno bis Nietzsche). Er beschwört den Probenalltag, aber auch die wunderbaren Möglichkeiten der Theaterwelt, Dora spricht von einem heiligen Ort. Weber kann sich auf ein spielfreudiges Ensemble verlassen – und dennoch zieht sich der Abend zuweilen. Der Zuschauer wird erschlagen von der Fülle der Themen, von den zahlreichen Diskursen und philosophischen Betrachtungen, von Gags und zum Teil scheinbar pausenlosem Aktionismus.
Heckmanns hat sehr viel Ahnung vom Theaterbetrieb und weiß kluge Kommentare zu schreiben. Weber setzt den Text mit vielen Ideen um – und lenkt vielleicht gerade dadurch vom Eigentlichen ab. In der letzten Szene tritt ein Kind mit einem Eis auf, es sagt: „Ich bin kein Zeichen. Ich bin einfach nur da“. Worauf Schwinder meint: „Ich verliere den Zusammenhang“.