Hübsch kalter Kaffee oder Wo läuft er denn?
Es hat einen wunderbar krausen Charme, den 100. Geburtstag Willy Brandts ausgerechnet mit einem Stück über den letzten Kanzler der Bonner Republik zu begehen. Im Vorhinein stellt sich natürlich die Frage: wie fasst man das? Wie kann man aus der Biographie, aus der politischen Karriere Helmut Kohls dramatische Substanz gewinnen? Mit historischer Tragödie? Heftiger Satire? Entspannter Komödie?
Ein Interview im Programmheft mit Michel Decar und Jakob Nolte, die ihre Nachnamen zum Autorenpseudonym zusammenstecken, weckt erste Befürchtungen. Da wollen zwei witzig sein auf Teufel komm raus. Und sie wollen sich nicht festlegen. Auf gar nichts.
Die Bühne in der Werkstatt ist eine Art Labor. Weiße Wände, Linoleum, Neonröhren, Tische, Sitzmöbel, Mikrophone, ein Schlagzeug, Kopfbedeckungen, Schusswaffen. Ein Anything-goes-Provisorium für eine theatralische Recherche. „Oder“ heißt das Zauberwort. Damit verbindet die Schauspielerin Julia Keiling zu Beginn Parolen, Phrase, Titelvorschläge. Der Impuls wird nach und nach von den anderen aufgenommen. So gleiten die sechs Schauspieler ins schön spontane, oft rotzig-unetabliert wirkende Spiel. Wo sie Haltungen finden, haben sie starke Momente. Immer. Es ist bemerkenswert, wie es dem jungen, schlaksigen Samuel Braun gelingt, Kohls sich unerbittlich und machtgreifend ausbreitende, phlegmatische Aura darzustellen. Julia Keiling beeindruckt mit einem sehr ernsten Monolog über die Sehnsucht nach dem Christsein, Bernd Braun mit einer Grabrede auf Kohls Vater. Robert Höller erfindet sehr klar Gerhard Schröder und Helmut Schmidt als scharfkantige Bonsai-Figuren. Mareike Hein ist eine kraftvolle, sehr greifbare Hannelore und Sören Wunderlich gelingt es immer wieder, im falschen Moment berückend ernst zu lächeln.
Aber das bleiben leider Momentaufnahmen. Markus Heinzelmann gelingt es nicht, sie zum stringenten oder zumindest unterhaltsamen Theaterabend zusammenzubinden, Energie zu zentrieren und so das Publikum zu packen. Zu selbstverliebt, auch zu selbstbezüglich ist dieser Text, diese Melange aus Episoden und Episödchen aus Kohls Leben, mal recherchiert, mal ausgedacht, in der Regel aus beidem zusammengedreht. Darüber gießen die Autoren eine Anspielungssauce aus, die überhaupt nicht sinnstiftend wirkt. Shakespeare und Schiller, Tschechow, Kafka und Sartre werden da bemüht. Strauß, Genscher und Fidel Castro treten auf und werden verschwurbelt ad absurdum geführt. Und natürlich prügelt man sich mit rohen Eiern. Alles hübsch, durchschaubar, akkurat – aber wozu? In der ersten halben Stunde der pausenlosen hundert Minuten glaubt man noch, es wäre – ausgerechnet! – ein abendfüllendes Bonn-Bashing beabsichtigt, aber selbst das erfüllt sich nicht. Übrig bleibt der schale Wortwitz - - oder der so brillante wie beliebige Kalauer - - oder eben hübsch anzusehender, fantastisch gespielter kalter Kaffee.