Übrigens …

Der Elefantenmensch im Dortmund, Schauspielhaus

Der Elefantenmensch – eine Lektion über Sensationsgier und vermeintliche Monster

Der Elefantenmensch von Bernard Pomerance erzählt die Geschichte eines von Geburt an durch massive Haut- und Knochenwucherungen extrem verunstalteten Mannes. Geistig völlig gesund, muss John Merrick sich auf Jahrmärkten zur Schau stellen, als Fleisch gewordener Alptraum begafft von sensationshungrigen Zuschauern, die das Anormale fasziniert und zugleich anekelt. Pomerances 1979 uraufgeführtes Broadwaystück, mit dem Tony Award ausgezeichnet, beruht auf der wahren Biographie des Engländers Joseph Carey Merrick, der vermutlich an zwei seltenen Erbkrankheiten litt.

Jörg Buttgereit, Regisseur und Autor verschiedener Arthouse-Horrorfilme, Theaterstücke und Hörspiele, führte am Schauspiel Dortmund bereits mehrfach Regie, so bei Kannibale und Liebe in der vergangenen Spielzeit.
Sehr einfühlsam geht Buttgereit in seiner Inszenierung des Elefantenmenschen auf die Frage ein, wer wirklich das abstoßende Monster, der Freak, ist und wer sich für welchen Zweck wie verkauft.

Schon zu Beginn wird der Zuschauer auf die exotische Jahrmarktswelt eingestimmt, wenn Christoph Jöde in roter, mit Goldtressen besetzter Fantasieuniformjacke marktschreierisch die Gäste in die Studiobühne einlädt: „Hereinspaziert, hereinspaziert!“ Lichterketten mit bunten Glühbirnen, ein grün-weiß-gestreiftes Zirkuszelt mit Elefantenkopfdekoration, Akkordeonmusik – all das vermittelt den Eintritt in eine bunte, aber auch unbekannte Welt, in der es ein Monster („halb Elefant, halb Mensch“) zu bestaunen gibt. Das Publikum sitzt auf schmalen Bänken rund um die Spielfläche, die an der vierten Seite Auftritte bzw. Abgänge durch das Zelt erlaubt. Eine beklemmende Atmosphäre stellt sich kurzfristig ein, ertappt sich doch vielleicht mancher dabei, neugierig auf diesen angekündigten Freak zu sein.
Frank Genser spielt den ambitionierten Chirurgen Dr. Treves, der John Merrick auf dem Rummelplatz entdeckt und ihn mit in sein Krankenhaus nach London nimmt, um ihm ein normales Leben, wie er es versteht, zu geben. Aber auch, um ihn im Namen der Wissenschaft zu untersuchen, denn: „Da, wo die Welt am grausamsten ist, ist es für die Wissenschaft am ergiebigsten“. Streng lässt er seinen Patienten wissen, dass er sich an die Regeln („die zu unserem Besten sind“) zu halten hat.
Uwe Rohbeck spielt den verkrüppelten, von Kindheit an gedemütigten Außenseiter glorios. Das speziell angefertigte, schwere Kostüm, das ihn zu dem so arg deformierten „Schaustück“ macht, lässt ihn uns nur durch den Klang seiner Stimme und die Art seines Blickes seine Gefühlsregungen vermitteln. Es ist bewegend, zu verfolgen, wie sich aus dem eingeschüchterten jungen Mann zu Beginn, der kaum einen Satz aussprechen kann, sich eine Persönlichkeit herausschält, die einen liebenswerten, ganz normalen Menschen zeigt. Bewundernswert, wie Rohbeck mit jeder mühsamen Bewegung, mit jedem schwerfällig artikuliertem Gedanken diesen sensiblen Mann verkörpert. Berührend, wenn er der Schauspielerin Mrs. Kendall (ausgezeichnet: Luise Heyer), die Treves zum Zwecke seiner Sozialisation ins Krankenhaus holte, durchaus charmant von seinen Träumen und Wünschen erzählt („Wahrscheinlich ist mein Kopf so groß, weil er so voller Träume ist“). Ebenso anrührend, wie sie – auch eine Person, die das zu Schau-gestellt-Werden kennt – seinen Wunsch, einmal eine nackte Frau zu sehen, erfüllt – in aller Unschuld, ohne jeglichen Hintergedanken.
Immer wieder gibt es Szenen, in denen das laute Geschrei des Jahrmarkts, auch innerhalb der feinen Gesellschaft, ertönt. Hier will man sich profilieren, wenn man sich mit Merrick zeigt. Das Krankenhaus bekommt zusätzliche Gelder durch diesen Patienten, Dr. Treves gewinnt an Renommee. Nur mit Mrs. Kendall verbindet John eine Freundschaft.

Der reale Elefantenmensch starb mit 27 Jahren. So stirbt auch Merrick auf der Bühne als junger Mann. In Dortmund legt er sich nicht einfach ins Bett, sondern streift – Stück für Stück – seine Ganzkörpermaske ab, um dann die Bühne zu verlassen. Ein eindrucksvolles Bild.

Buttgereit ist ein bewegender, emotionaler Abend gelungen, der uns nachdenklich stimmt. Auch heute werden Außenseiter – wie auch immer sie von der Norm abweichen – angestaunt, ausgegrenzt. Ein Phänomen, das es immer geben wird, dessen man sich aber bewusst sein muss.

Herzlichen Dank an das phantastische Ensemble und an die Regie.