Robinson Crusoe im Düsseldorf, Forum Freies Theater

Die schwankenden Bretter, die Robinsons Welt bedeuten

Gute Frage: Warum hat Robinson Crusoe auf der einsamen Insel eigentlich nicht mit seinem Handy Hilfe geholt? Martin Klöpfer weiß Rat: So mitten im Ozean hatte er wahrscheinlich keinen Empfang.

Lassen wir dahingestellt, ob die Frage des kleinen Jungen in der Publikumsdiskussion ernst gemeint war oder nicht. Die erst vor einem Jahr gegründete und schon mit dem Förderpreis der Stadt Düsseldorf für Darstellende Kunst ausgezeichnete Gruppe Subbotnik hat ihr Familienstück Robinson Crusoe als geeignet für Menschen „ab 8 Jahren“ deklariert. Mancher Achtjährige vermag solche Fragen schon voller Ironie zu stellen. Aber auch als satirische Zustandsbeschreibung der Lebenswelt und Denkweise heutiger Grundschüler trifft die Frage den Kern. Außerdem: Robinson Crusoes Mitbewohner in der unfreiwilligen Insel-WG, der dunkelhäutige Freitag, macht gestenreich klar, dass es ihn wohl durch einen Flugzeugabsturz dorthin verschlagen hat. So doof ist die Frage nach dem Handy also nicht…

Mit viel szenischer Poesie (und naturgemäß stark gekürzt) erzählt Subbotnik die Geschichte von Robinson Crusoe. Dabei verbringen wir die Zeit vor Robinsons Landung auf der Insel erheblich kurzweiliger als die danach. Zu Beginn geht es auf der Bühne der Kammerspiele munter zu – und nicht ohne Subtext, den die Erwachsenen dechiffrieren können und den die Kinder vermutlich unbewusst spüren. Wussten Sie noch, dass unser Abenteurer aus einer mächtig bildungsbürgerlichen Familie stammt? Der arme Kerl soll Englisch lernen, er nimmt Klavierunterricht, und der gestrenge Vater ist fraglos auf dem besten Wege, aus Robbie einen famosen Upper Class Boy zu machen. Doch den plagt die Sehnsucht nach dem Hafen, den Schiffen und dem Meer. Es ist die alte Sehnsucht der verwöhnten Oberschicht-Kids nach dem abenteuerlichen Arbeiter- und Bauernleben: Papa übt sehr subtil Druck auf den Jungen aus, doch vergebens - ein Schiff wird kommen und dessen Traum erfüllen…

Sehr temperamentvoll und mit hinreißender Musik- und Geräuschbegleitung wird das gespielt. Auf dem Meer wird es erst recht turbulent: Die fünf Schauspieler sitzen auf ein paar Wasserkästen und haben die Bretter, die die Welt bedeuten, auf den Oberschenkeln: ein paar im Sturm schwankende Planken, die das Boot symbolisieren und aus denen sich Robinson später eine frugale Behausung bauen wird. Ein Setting von größtmöglicher Einfachheit, und doch entfachen die fünf einen Sturm von shakespeareschen Dimensionen. Robinson ist bis zu diesem Zeitpunkt eine Puppe, gesprochen und gespielt von Urs Peter Halter. Die harten Männer sind entzückend naive, sympathische Abenteurer. Oleg Zhukov gibt einen wunderbaren Piraten in kurzer Pelzjacke und mit einem schwarzen Brillenglas anstelle der obligatorischen Augenklappe. Er nimmt Robinson gefangen und stellt ihn als persönlichen Assistenten zum Kartoffelschälen und Hundausführen an, wobei er so manche den Kindern bekannt vorkommende Erwachsenen-Plattitüden ironisiert. Robinson, nach zweijähriger Gefangenschaft geflohen, wird nun in Brasilien zum Frühkapitalisten und stellt Lutscher und Zigarren her, sticht dann aber wieder in See. Die Puppe ist nunmehr verschwunden; Robinson ist endgültig erwachsen geworden; er hat aber auch zu sich selbst gefunden und muss nicht mehr die ihm von der gesellschaftlichen Konvention aufoktroyierte Rolle spielen. Erneut gibt es Sturm; großartig instrumentiert das Team den „Wind“, und wenn das Wasser in das Boot eindringt, liegt einer unter der Planke und spuckt – Temperament und Einfallsreichtum der Inszenierung nehmen die kleinen ebenso wie die großen Zuschauer gefangen.

Es folgt: die einsame Insel. Auch die ist zunächst romantisch dargestellt: Robinson baut sich aus den Wasserkästen einen Unterschlupf, und als Schattenrisse zittern Gräser im Wind. Passieren wird hier zunächst nichts mehr; Robinson sitzt, guckt in die Gegend und denkt sich sein Teil. Er denkt lange, und er denkt düster: Nichts als drei Mützen sind von seinen Kameraden übrig geblieben; es gibt keinerlei Schutz vor wilden Tieren und Menschen. Robinson, der Mann aus der Zivilisation, räumt auf, schafft Ordnung. Für den Zuschauer – insbesondere für die Kinder – ist diese Phase der Aufführung schwierig: Leise, in den hinteren Reihen akustisch nur schwer zu verstehen ist die Sprache, anspruchsvoll der Text: „Vernunft ist die Wurzel der Mathematik“. Nur mühsam gelingt es dem Team, mit dem einen oder anderen Slapstick die schwindende Aufmerksamkeit der Kinder zurückzugewinnen. Das Inselleben ist halt recht ereignislos, und dies spannend darzustellen, erweist sich als schwierig. Immerhin: Der Komponist und Sound Designer Kornelius Heidebrecht hat mit Cembalo- und Geigenspiel sowie einer suggestiven Soundcollage ganze Arbeit geleistet. Dennoch hängt die Aufführung trotz aller Poesie in ihrem Mittelteil ein wenig durch.

Doch dann kommt Freitag: Der gebürtige Nigerianer Jubril Sulaimon wird später beim Schlussapplaus den meisten Applaus der Kinder einheimsen. Wie der staunt! Welch ein ausdrucksvolles Gesicht er hat! Wie er aufgeregt und wild gestikulierend in afrikanischem Dialekt vom Flugzeugabsturz berichtet! Wie er den Weißen Robinson, der sich erschrocken in sich selbst zurückzieht, beschnuppert! Und wie er bei all dem Zirkus, den er veranstaltet, jederzeit Würde bewahrt! – Bezaubernd wird nun demonstriert, wie sich Robinson und Freitag umkreisen, misstrauisch und doch neugierig, auf der Suche nach einem Gefährten, aber auch das Risiko, das in der Fremdheit der jeweils anderen Peron liegt, scheuend. Die Insel ist voll Lärm und süßer Lieder; Vögel zwitschern, Tiergeräusche hallen aus dem Urwald – und zwei Menschen unterschiedlicher Kulturkreise, die keine gemeinsame Sprache teilen, versuchen, Vertrauen zueinander aufzubauen. Ob es endgültig gelingt, bleibt bei Subbotnik offen. Doch als sie sich zum Schutz gegen einen Tropenschauer nebeneinander im Unterschlupf einstellen, scheint es Hoffnung zu geben auf eine neue Harmonie. Und auf Rettung.