Übrigens …

Amerika im Köln, Schauspiel

Silvestergeeignet

In der Zeit zwischen 1911 und 1914 hat Franz Kafka drei Romane geschrieben, die unvollendet blieben. Das Schloss und Der Prozess erlangten Popularität, nicht jedoch Der Verschollene. Dieser Titel hat sich gegenüber Amerika, wie von Kafka-Freund Max Brod für die Erstausgabe von 1927 gewählt, inzwischen durchgesetzt. Selbst bei nur flüchtigem Blick auf die Geschehnisse der Erzählung möchte man das für richtig halten. Vor hundert Jahren galt Amerika vielleicht noch als Land der unbegrenzten Möglichkeiten, als sicheres Refugium für Gestrauchelte, Eldorado für Abenteurer. Karl Roßmann, der 17jährige Protagonist in Kafkas Roman, erlebt in Amerika hingegen nur gefährliche Abenteuer, Demütigungen, Hinauswürfe.

Zu Hause wurde Karl nicht mehr geduldet, weil er eine Affäre mit dem Dienstmädchen hatte, welche nun ein Kind erwartet. Die erzürnten Eltern schicken den Sohn also in die weite Welt. Zunächst scheint dem „Strafversetzten“ das Glück hold. Er trifft auf einen ihm bislang unbekannten reichen Onkel, der ihn großzügig bei sich unterkommen lässt. Als Verfechter strenger Prinzipien nimmt er jedoch Anstoß an einigen Verhaltensweisen seines Neffen und setzt ihn schließlich vor die Tür. Es folgen Kontakte zu Landstreichern, der korpulenten Sängerin Brunelda und Dienstboten in einem Hotel, wo er angestellt ist. Doch überall sitzt er irgendwie zwischen den Stühlen. Erst die Aussicht, in einem Theater von Oklahoma Arbeit zu finden, scheint der Odyssee ein Ende zu bereiten. Mit der Zugreise dorthin bricht Kafkas Roman ab.

Hätte dieser Aufbruch ein „Happy End“ bedeutet? Brod kolportierte, Kafka habe ein „lieto fine“ im Sinn gehabt, sogar ein Wiedersehen mit den Eltern schildern wollen. Dem freilich widersprechen Tagebuchnotizen des Autors. Geradlinig wäre wohl tatsächlich auch der vollständige Roman nicht verlaufen, und das ferne Oklahoma wird in der Deutungsliteratur mitunter sogar als Reich des Todes angesehen.

Im Moment fällt ein gesteigertes Interesse der Theater an Kafkas Amerika auf. Man muss gar nicht nach München blicken, wo kürzlich an den Münchner Kammerspielen Julie Van den Berghe die Figur Karls übrigens auf zwei Schauspieler aufteilte. Diese Entscheidung fand sie dadurch legitimiert, dass Kafka ursprünglich den Lebensweg zweier Brüder beschreiben wollte. Köln bot vor nur einigen Tagen, quasi parallel zur Fassung von Moritz Sostmann (Regie) und Sibylle Dudek (Dramaturgie), eine Opernversion (Franz Kafkas Amerika), von Andreas Durban im Rahmen des Festivals „Musik in den Häusern der Stadt“ mit Hochschul-Studenten in Szene gesetzt. Und dann gab es vor gut einem Jahr noch eine Produktion im Keller-Theater. Das Ergebnis wurde von mr mit „A la recherche du Kafka perdu“ bilanziert, weil die Inszenierung der damaligen Intendantin PiaMaria Gehle allzu sehr ins grell Unterhaltsame abdriftete. Der gleiche Trend ist nun in Depot 2 des Kölner Schauspiels zu konstatieren, wobei diese Wirkung durch das Finalbild auch noch besonders unterstrichen wird. Moritz Sostmann lässt die Aufführung nicht - Kafkas Romanfragment entsprechend - mit der Zugreise zum „Naturtheater von Oklahoma“ enden, sondern fügt eine plakative Revueaufführung dieses Hauses hinzu. Da Max Brod den Erzählstil Kafkas in die Nähe von Chaplin-Filmen rückte, ist es sicher legitim, groteske Momente in dem „Bildungsroman“ zu suchen. Darüber aber sollte nicht das Abgründige und Gefährliche der Story verloren gehen. Auch besteht Amerika nicht nur aus Wegelagerern, Besoffenen und Rotlichtwracks. Bei aller Kritik hatte Kafka auch die „Größe“ des Landes vor Augen.

Der besondere Akzent bei Sostmann liegt auf dem Puppenspiel, und mit Magda Lena Schlott, Johannes Benecke und Philipp Plessmann hat er brillante Darsteller um sich geschart, die mit dieser theatralischen Form bestens vertraut sind. Wie schon bei Brechts Der gute Mensch von Sezuan wird (mit einer Ausnahme) nur die Mittelpunktsfigur als Puppe eingesetzt. Der bebrillte, brav gescheitelte und in einem adretten Anzug steckende Karl wirkt durch die starre Physiognomie so richtig kreuzbrav, fast verklemmt, wie ein unfertiger, deutschtümelnder Internatsschüler. Das lässt die anderen Figuren noch quirliger und wirbeliger erscheinen, wobei Bruno Cathomas mit seinen aufgedonnerten Frauentypen den Vogel abschießt. Szenenapplaus - das gibt es beim Schauspiel sonst eigentlich nie.

Doch damit wäre halt wieder das Grundproblem dieser (auch in der Projektionsausstattung Klemens Kühns) sehr lebendigen Aufführung angesprochen. Ihre Showqualität lässt Reflexionen ernsterer Art kaum zu; man könnte sogar meinen, Kafka sei ein Autor von RTL & Co. Selbst die eigentlich rührende Episode mit der traurigen Therese erhält leicht flippige Züge. Man könnte sich gut eine Silvesteraufführung dieser Produktion vorstellen, doch dieser Termin ist bereits mit Michael Frayns „Nackter Wahnsinn“ besetzt.