„Verhältnissen zu entfliehen, die mir zur Folter waren, schweifte mein Herz in eine Idealwelt aus“ (Friedrich Schiller)
Schiller zeigt in Kabale und Liebe hoffnungsvolle junge Leute in einer Zeit der gesellschaftlichen Konflikte. Der Adel ist nicht länger fähig, die Gesellschaft zu regieren und ihr eine Perspektive zu geben. Das Bürgertum entwickelt Selbstbewusstsein, beginnt, sich zu emanzipieren.- hat aber noch nicht die Macht in den deutschen Kleinstaaten.
Der Adelige Ferdinand von Walter liebt das Bürgermädchen Luise Miller. Unbegreiflich für seinen Vater, den Präsidenten. Ferdinand und Luise setzen alle Hoffnung und Kraft in ihre Liebe zu einander. Ihr gemeinsamer emotionaler Aufstieg bringt ihnen ein kurzes Glück, lässt sie dann aber schnell an unüberwindbare Grenzen stoßen. Ferdinand ist bereit, die Schranken seines Standes zu durchbrechen. Luise als Mädchen (und dazu noch als bürgerliches Mädchen) zögert.
Wurm, der Privatsekretär des Präsidenten, liebt Luise ebenfalls. Schon sein Name lässt sein intrigantes Naturell vermuten. Wendig und opportunistisch entwickelt er als Werkzeug des Präsidenten und aus eigenem Interesse einen teuflischen Plan, um die Liebenden zu trennen. Das muss selbst der Präsident als politischer Profi zugestehen: „Das Gewebe ist satanisch fein“. Ein Gewebe, das ist Kabale und Liebe selber in der fantastischen Mischung aus feingesponnener Intrige und der Verstrickung unglücklich Liebender.
Regisseur Simon Solberg, einer von drei Schauspielleitern am Theater Basel, verlegt den Ort der Handlung in eine Verpackungshalle des Versandkonzerns „amazon.as“. Luisens Mutter und Wurm arbeiten – zusammen mit diversen Statisten, die noch in so manche Rollen schlüpfen – als Lagerarbeiter. Über allen Paletten und Kartons: eine erleuchtete Kanzel, das Büro (mit Schreibtisch und Globus) des Präsidenten von Walter. Wilhelm Eilers gibt ihn im konservativen Business Suit als coolen Geschäftsmann, der das Unternehmen souverän lenkt und ab und an gerne sein Golfhandicap trainiert. Die Kartons bieten so manche Überraschung. So springt Luise wie ein „Jack out of the box“ heraus – Annika Schilling ist ein naiv- frisches Landmädchen mit Jeans-Hotpants, später trägt sie einen roten Plastikbastrock darüber. Ferdinand (Marek Harloff gibt penetrant den jugendlichen Revolutionär und Liebenden) schwingt sich an den Flügel, um ein paar Verse zu singen. Dann hören wir als musikalische Einspielung „The Power of Love“.
Solberg macht aus dem bürgerlichen Trauerspiel eine endlose Aneinanderreihung von Zitaten. So die Anspielungen auf die „Yellow Press“ oder entsprechende TV-Sendungen. Lady Milford, die Mätresse des Fürsten, soll Ferdinand heiraten, um mit dieser Ehe einen moralischen Status zu erhalten. Sabine Waibel spielt sie als Marilyn Monroe-Verschnitt im Silberglitzerkleid. Rätselhaft, warum sie Luise im Rahmen einer Casting-Fernsehshow („Milford’s next top Jungfer“) treffen muss. Und warum muss sich Ferdinand mit Farbe anmalen, welchen Sinn macht sein T-Shirt mit dem Aufdruck „Snowdens Team“? Solberg überhäuft die Inszenierung mit Einfällen und Gags, mit Videos, Musikeinspielungen, mit Zitaten von Wulff, Mielke und Kohl, mit roten Fahnen mit dem Emblem der Deutschen Bank – um nur einige zu nennen. All dies macht den Abend zu einer knalligen Pop-Veranstaltung, die sich zwar durchaus an Schillers Text orientiert, jedoch vor lauter Getöse das wirkliche Zuhören unmöglich macht. So ist man dankbar, wenn die Liebenden in einem der großen Kartons sitzen und – wir sehen die Aufnahmen der Kamera per Video – ein paar leise Töne zu hören sind (Ferdinand: „Mein Vaterland ist, wo mich Luise liebt“).
Fraglich, ob man Schillers Klassiker für ein junges Publikum (gehört doch Kabale und Liebe zum Pflichtprogramm des Deutsch-Unterrichts) so „aufmotzen“ muss. Ich denke nein.