Kaputte Familie
Der 1971 geborene Autor Lukas Bärfuss blickt auf eine seltsame Entwicklung zurück. Er brach seine Schulausbildung ab, arbeitete in handfesten Berufen, so als Eisenleger und Gärtner. Über eine Tätigkeit im Buchhandel kam er schließlich zu Literatur und Theater. Am Züricher Schauspiel wirkte er als Hausdramaturg, hier wurde 2010 auch sein Stück Malaga uraufgeführt, inszeniert von Barbara Frey, die noch andere Dramen von Bärfuss auf die Bühne brachte.
Die spanische Stadt Malaga ist realer Ort, aber auch Synonym für heiße, gärende Wünsche von Michael und besonders Vera. Mit ihrem Lover erhofft sie sich ein erotisch stimulierendes Wochenende, welches sie von den ständigen Streitigkeiten mit ihrem Mann ablenkt. Michael wiederum fiebert einem Ärztekongress entgegen, wo er ein selbst entwickeltes Ohren-Implantat vorstellen soll, wovon Karriere und Unterhaltssicherung abhängt. Aber da ist noch die gemeinsame Tochter Rebekka, welche betreut werden muss. Doch die Babysitterin ist erkrankt, und so sehen sich die Beiden vor eine unerwartete, schwierige Situation gestellt.
Weder Vera noch Michael möchten (und können) von ihren Plänen Abstand nehmen. Ein Aufpasser-Ersatz für das Töchterlein scheint aber schließlich in dem jungen Alex aus der Nachbarschaft gefunden. Der Einzelgänger, welcher sein Herz an das Filmen gehängt hat, möchte die Gelegenheit nutzen und das kleine Mädchen in seine Arbeit einbinden. Was dann während der Abwesenheit der Eltern tatsächlich passiert, erzählt der Autor nicht. Man erfährt gegen Ende lediglich, dass Rebekka im Krankenhaus liegt. Auch in dieser verschärften Situation sind Vater und Mutter nicht bereit, „für einen größeren sozialen Verband Verantwortung zu übernehmen“, so Bärfuss.
Anne Manss hat die kleine „Keller“-Bühne nicht „ausgestattet“, sondern in ihrer Nüchternheit weitgehend belassen. Dafür spielt das Licht eine strukturierende Rolle, was die Aufmerksamkeit fast gnadenlos auf die Schauspieler lenkt. Julia Grafflage lässt mit ihrer Darstellung nachvollziehen, dass Vera keine oberflächliche Abenteuerin ist, sondern dass eine verkorkste Zweisamkeit sie in die Verzweiflung getrieben hat. Gerhard Roiß legt als Michael eine verstörende Fahrigkeit an den Tag. Zwischen beiden geistert Alex hin und her, mal mit aufgebauschtem Selbstbewusstsein, mal fast am Rande von Schizophrenie. Simina Germans Inszenierung bietet also spannende Charakterumrisse. Die Szenen einer Ehe erschöpfen sich bei ihr nicht in lautstarken Auseinandersetzungen (die es freilich auch gibt), sondern wirken vielfach besonders intensiv durch eine Kraft des Leisen. Beklemmend gelingt es der Regisseurin zuletzt auch zu zeigen, wie hilflos Vera und Michael um eine neue, aber von vorneherein zum Scheitern verurteilte Annäherung ringen. In der besuchten zweiten Vorstellung spürte das Publikum erst nach einiger Zeit, dass der offene Schluss des Stückes ein endgültiges Finale war.