Liebe in Zeiten des Kapitalismus
Beruflicher Erfolg und private Einsamkeit, Macht und Begehren – das sind die Eckpfeiler von Fassbinders Die bitteren Tränen der Petra von Kant, in denen sich der Autor schon 1971 mit dem Verhältnis von Liebe und Kapitalismus auseinander gesetzt hat. Im Theater Münster besticht das alte Thema auf eindrückliche Weise durch Aktualität.
Petra von Kants Wohnung ist groß und kalt. Die Wände sind weiß und schließen das Publikum mit ein, machen es dadurch zum Voyeur in ihrem Privatleben. Von der Decke hängen Ketten und nackte Glühbirnen, von einer Kamera wird die Szenerie in schwarz-weiß auf die Wände projiziert: Großformatig und eindrücklich, gleichzeitig flüchtig und geschichtslos stattet Valentina Crnkovi? den Raum aus.
Die Modedesignerin (Claudia Hübschmann) ist ökonomisch erfolgreich wie nie, gerade hat H&M angefragt. Gleichzeitig trinkt sie zu viel, quält ihre stumme Haushälterin (trotz ihrer stillen Rolle äußerst präsent: Carola von Seckendorff) und schwingt große Reden über die souveräne Trennung von ihrem Ex-Mann. Als das junge Model Karin Thimm in ihr Leben tritt, stürzt sie sich mit ganzem Herzen und gezückter Brieftasche ergeben in die neue Liebe zu der kühl kalkulierenden Schönen. Maike Jüttendonk überzeugt als einerseits lasziv-naive und andererseits gewalttätig-kalte Karin Thimm, deren rassistische Imitation ihres schwarzen Liebhabers allerdings schon bei Fassbinder überflüssig war. An den Stück für Stück sich offenbarenden Abhängigkeiten, Unterdrückungs- und Machtstrukturen zerbricht Petra von Kant vollends, wird von Karin verlassen, brüskiert ihre Mutter (Regine Andratschke), Tochter (Lilly Gropper) und Freundin (Claudia Frost). Was bleibt, ist der Alkohol und die treu ergebene Haushälterin.
Bernadette Sonnenbichler und ihr Team inszenieren eine gelungene Neuauflage des etwas angestaubten Fassbinder-Stoffes, der in den Siebzigern mit Homoerotik provozieren konnte. Die schrittweise Zerstörung des Bühnenbildes, sowie die Sound- und Lichteffekte begleiten den Absturz der Hauptfigur, der jedoch wider Erwarten in keinem Höhepunkt kulminiert, sondern von Anfang an im Stück angelegt ist.
Am Ende gab es lang anhaltenden Applaus für die sechs Frauen und ihre wirklich überzeugende schauspielerische Leistung.