Nice Guy und intrigante Lady
Lisa Nielebock, einstmals Hausregisseurin am Schauspielhaus Bochum und heute Dozentin an der Folkwang-Hochschule, hatte die Idee, und das ROTTSTR5 Theater war sofort interessiert: In jedem Jahr sollen zwei Studierende der Schauspiel-Regie (und damit 100% der Regie-Studenten der Folkwang-Universität) ihre letzte Arbeit vor dem Examen unter Profi-Bedingungen an einem freien Theater entwickeln und sich der Reaktion des ganz normalen Publikums aussetzen. Blutige Anfänger nennt das ROTTSTR5 Theater die neue Reihe. Als Erste ging nun die junge Niederländerin Nina de la Parra an den Start: mit Macbeth.
Macbeth von Shakespeare in sechzig Minuten. Mit drei Schauspielern. Klingt wie eine typische Examensarbeit: Regelmäßige Besucher des Impulse-Festivals in NRW erinnern sich an Jorinde Dröses zwölf Jahre alte Abschlussarbeit am imtf Hamburg, den Sommernachtstraum für eine Person, oder an Roger Vontobels [fi’lo:tas] nach Lessing, entstanden ein Jahr später am gleichen Institut ebenfalls als Ein-Personen-Stück und so erfolgreich, dass die Inszenierung vor einem Monat in überarbeiteter Form ihre umjubelte Premiere am Schauspielhaus Bochum feierte Große Vorbilder für die junge Folkwang-Studentin. Ihr Macbeth löst sich nicht so stark vom Original wie weiland Vontobels Lessing oder Dröses Shakespeare, aber er zeigt interessante Ansätze für eine eigene Regie-Handschrift.
Der Schauspieler also: Bernhard Glose, Folkwang-Absolvent des Jahres 2008 und bis Sommer 2012 Ensemble-Mitglied am Theater Münster, gibt den Macbeth. Einen sehr jugendlichen Macbeth, kaum der Pubertät entronnen; einen nice guy, total verliebt in seine Lady und daher leicht beeinflussbar. Irgendwann wird er durchdrehen, wie das in Shakespeares Buche steht, doch wird er bis zum Schluss den Ernst der Lage nicht durchschauen.
Karin Moog, bis zum Jahre 2010 festes Ensemble-Mitglied am Schauspielhaus Bochum und dem ROTTSTR5 Theater seit seinen Anfängen verbunden, ist Lady Macbeth. Die böse schöne Schwester von Schneewittchen: das Haar schwarz wie Ebenholz, der Mund rot wie Blut. Intrigant, geltungsbedürftig und erfolgsorientiert – mit einer Geste des Triumphs, als hätte sie gerade die Goldmedaille in Sotschi gewonnen, als ihr heimkehrender Gatte von der Prophezeiung berichtet, er sei der „König von morgen“.
Jörg Schulze-Neuhoff aus Bielefeld, der seit vielen Jahren in der freien Szene vagabundiert und mit seiner Eigenproduktion von Kafkas Der Bau die Zuschauer der Klein- und Kleinst-Spielstätten in NRW das Gruseln lehrte, spielt alle anderen Rollen, die der Regisseurin nicht verzichtbar erschienen. Zauselig, mit Bart und kaum gekämmten langen Haaren gibt er die Hexe (solo), die Boten, Duncan, Banquo, Macduff. „Upon the heath“ sitzt er nach dem stillen, mit einem kleinen tableau vivant beginnenden Auftakt der Aufführung in einem kleinen Kabuff und mampft eine Blutorange. Ihm gehören die ersten Worte. Sein Hexeneinmaleins klingt nicht beschwörend, nicht raunend geheimnisvoll, sondern beiläufig, voller Lakonie. Schulze-Neuhoff unterspielt seine Figuren und gibt ihnen dadurch große Intensität, rettet sogar einen verhältnismäßig enttäuschenden Schluss nach der Zweikampf-Szene zwischen Macbeth und Macduff durch ein erneut lakonisch in den Raum geworfenes „Der Zauber ist getan.“ Als toter Duncan findet er ein schaurig schönes Bild: Aufgeregt hat ihm der überforderte Macbeth seine blutigen Eingeweide ins Maul gestopft, und nun ist er zusammengesackt auf seinem Stuhl im Hexen-Kabuff, das auch das Schlafgemach des Königs ist, bewegungslos, mit gebrochenen Augen, und rotes Gekröse hängt ihm aus dem Mund. Es ist ein Bild von der entsetzlichen Schönheit der Gemälde von Francis Bacon.
Ansonsten setzt Nina de la Parra eher nicht auf starke Bilder oder starke Reden. Jegliches Pathos ist dem Stück ausgetrieben. Macbeth spricht den berühmten „Dagger“-Monolog ruhig, fast gelassen, und auch die schreckliche Ahnung bei Vergegenwärtigung der begangenen bösen Tat wird eher unterspielt: „Macbeth soll nie mehr schlafen. Macbeth tötet den Schlaf.“ Dieses Unterspielen durchhalten zu müssen, wird für Bernhard Glose zur schwer zu bewältigenden Herausforderung, wenn es am Ende zur Eskalation kommt. Dass der Wald von Birnam sich gen Dunsinane bewegt (warum er das tut, bleibt in de la Parras Kürzestfassung leider unklar), beunruhigt Macbeth kaum; Macbeth schlägt sich im Nahkampf mit Macduff nicht nur recht gut, sondern auch ein wenig unernst. Aber auch als er von der Kaiserschnittgeburt seines Widersachers erfährt, bleibt der Schrecken aus. Der nette, weiche junge Pubi hat für diese Szenen nicht genügend Power, so dass der Tod ein wenig unvermittelt und undramatisch eintritt – wohl eine Folge des Regiekonzepts.
Dabei hatte es zuvor durchaus eine Szene gegeben, in der Macbeth ausgerast war: Laut und expressiv hatte er den Verzweifelten gespielt, als der Mord an Duncan entdeckt worden war. Bei seiner Lady, bei Karin Moog hatten Entsetzen und Verzweiflung aufgesetzt und übertrieben gewirkt – sie war ja die Initiatorin und Anstifterin zur Tat gewesen und hat Mühe, ihren Triumph zu verbergen. Macbeths Verzweiflung aber ist nicht gespielt: Ihn erfasst in diesem Moment der Abscheu über seine eigene Tat und die Angst vor ihren Konsequenzen. Kaum merklich leisten die beiden Schauspieler hier psychologische Feinarbeit.
Nina de la Parra konzentriert sich in ihrer Fassung, die Shakespeares Macht- und Mordgeschichte skelettiert und auf einen einzigen, der Regisseurin wichtigen Kern reduziert, auf das Verhältnis zwischen der ehrgeizigen Lady Macbeth und ihrem wesentlich bescheideneren Mann. „Nicht genug Gemeinheit“ habe Macbeth in sich, um die Hexenprophezeiung wahr zu machen, fürchtet die Lady: „Du bist zu voll von der Milch der Menschlichkeit.“ In der ersten Hälfte des kurzen Abends liegen die überzeugendsten Momente dieser Aufführung: In der Konzentration auf die unterschiedlichen Charaktere von Lady und Husband, auf die Intrige der entschlossenen, skrupellosen hübschen Frau und die Beeinflussung des fast noch kindlichen, im Grunde gutherzigen und von der Situation überforderten Mannes. Karin Moog und Bernhard Glose spielen das überzeugend: Das Böse setzt sich durch, weil hinter ihm der stärkere Wille und der größere Antrieb steckt. Es steht zu befürchten, dass diese Erkenntnis auch für das 21. Jahrhundert gilt.