Zu spät! Zu spät! Zu spät! im Köln, Theater im Bauturm

Der Zeit im Hamsterrad hinterher!

Angesetzt ist ein Aufbauseminar für Trainer in einem einsamen Spukschloss im Wald; die fünf – im Stück namenlosen - Teilnehmer trudeln nach und nach ein, nur der Kursleiter kommt nicht.

Ist da ein Trick dabei? Ist der Kursleiter etwa einer der ihren? Wird man heimlich gefilmt mit anschließender Auswertung? Man versucht die Zeit mit Smalltalk zu füllen, ein hochaktiver Wichtigtuer (Bernhard Bauer) telefoniert unentwegt und regt sich über die ständigen Werbeanrufe und den schwachen Handyempfang auf („nur ein Strich“), alle schimpfen über die hier vertane Zeit, bis die ersten versuchen abzuhauen. Da der Sturm draußen einen dicken Baum quer über die einzige Straße geworfen hat, bleibt man notgedrungen da. Und was nun ?

Nach und nach lernt man die Gruppe kennen: die Schwangere (Doris Dexl), welche Kindercoaching macht und sich ständig beobachtet fühlt, die Esoterische (Karin Moog) die Tarot-Karten legt, selbst Visionen hat und die Kollegen zum Kartenziehen überredet – die auch prompt alle den Tod ziehen. Und den bescheidenen, fast devoten Buchhalter (Tobias van Dieken), der gar kein Coach ist, sondern von seiner Frau und dem Schwager geschickt wurde, da er die Karriereleiter im Familienbetrieb für gänzlich unpoetische Felgenreiniger hochklettern soll. Herausgefordert wird er immer wieder von einer ironisch-aggressiven Trainerin aus einer Personalabteilung (Karin Kettling), rigide bis eiskalt, die selbst keinen Kontakt mehr zu ihrer Tochter hat.

Trainer – neudeutsch Coaches - sollen anderen Menschen helfen, ihr eigenes Leben, ihre Seele oder die Berufstätigkeit besser zu organisieren. Aber hier stellt sich heraus, dass auch sie eine Führungspersönlichkeit brauchen (in diesem Fall den Kursleiter), da sie sonst offensichtlich orientierungs- und ziellos sind. Eine katastrophale Situation – hilflose Optimierungsexperten in fast grotesker Lage.

Die folgende Nacht kann kaum jemand schlafen, man trifft sich auf dem Gang; die Einsamkeit tritt hervor, man ist froh über einen Gesprächspartner, alle wollen Kontakt, suchen jemanden, der zuhört, brauchen körperliche Nähe: „Können Sie mich mal umarmen, nur ganz kurz“ oder wollen ihre Hand auf den Babybauch legen. Die Schwangere hat einen ganzen Koffer mit Plüschtieren für ihre Kindertherapie, eine der Puppen wird zum Gesprächspartner, um das Schuldgefühl am Tod einer Freundin im Kindesalter herauszulassen. Auf einmal alleingelassen treten die früheren Belastungen aller im eigenen Leben an der Oberfläche – und keiner hilft. Im Gegenteil, die fünf weißen Stellwände, welche als Leinwand für die Videos von Freya Hattenberger dienen und mobil die Szene variieren, rauschen wild und orientierungslos über die Bühne, symptomatisch für die Hilflosigkeit, aber auch für die Gefahr, die dahinter steckt.

Das Seminar ist ungeplant zu einer globalen Therapiesitzung geworden mit ungewissem Ausgang. Oder?

Denn ein paar Jahre später trifft man sich zufällig auf einer Veranstaltung wieder, man freut sich und redet die selben Floskeln wie früher. Die Schwangere bekommt ihr drittes Kind, ansonsten scheinen alle nur etwas mehr Gelassenheit an den Tag zu legen- man kennt sich ja. Bis auf den Schüchternen; er ist auffällig modisch gekleidet, mit seinem selbstbewussten Auftreten scheint er der Einzige zu sein, der sich überhaupt nennenswert fortentwickelt hat. Und die ganze Gruppe stürzt sich auf seinen Koffer, um dort vielleicht eine Lösung für ihre eigenen Probleme zu finden – aber damit endet das Stück, ohne Ergebnis.

Denn vielleicht war der Schüchterne dann doch der Kursleiter, was man zwischendurch schon mal vermutet hatte, oder zumindest unfreiwillig. Denn anders als die teilnehmenden Trainer wollte er nur sein Selbstbewusstsein weiterentwickeln, nicht aber lernen, dem andauernden Druck der Überforderung nach „alles können und alles schaffen“ und zur Selbstoptimierung entgegenzuhalten in der Lage zu sein.

Zu spät! Zu spät! Zu spät! ist ein Stück über den Sinn und Unsinn einer ganzen Branche von Trainern und Lebensverbessern, die oft selbst mit ihrem Dasein kaum zurecht kommen und vielleicht jede Menge „Leichen im Keller“ haben. Und den Leuten beizubringen glauben, ständig hinter einer optimierten Zeit hinterher laufen und das eigene Leben maximiert gestalten zu müssen, obwohl man trotzdem immer zu spät kommt. Und was auch durch Coaching nicht besser wird, wenn die Erkenntnis nicht von selbst und von innen kommt, sondern man diese glaubt per Seminar kaufen zu können.

Die Akteure hatten vor der Konzeption des Stückes, an dem sie aktiv mitgewirkt haben, selbst ein Coachingseminar besucht; herausgekommen ist eine blendende schauspielerische und vor allem überzeugende Leistung. So manch einer im ausverkauften Haus dürfte sich im Stillen an die eigene Nase gefasst haben, ob nicht auch er selbst im Hamsterrad hängt. Der große Erfolg des Stückes, welches für den Kölner Theaterpreis 2013 nominiert ist und als Produktion des Monats ausgezeichnet wurde, spiegelt sich auch in zahlreichen Zusatzveranstaltungen wieder, was dem Theater, welches durch erhebliche Nachforderungen der GEMA im letzten Jahr in eine wirtschaftliche enge Lage geraten war, auch in dieser Hinsicht gut tun dürfte.