Übrigens …

Die Welt mein Herz im Köln, Schauspiel

Auf der Suche nach Lebenssinn und Glück

Drei Damen und sechs Herren schreibt (laut Verlag Kiepenheuer) Mario Salazar für Die Welt mein Herz vor, uraufgeführt im Schauspiel Köln. In Depot 2 stehen freilich nur zwei Frauen und vier Männer auf der Bühne (hier und da kommt noch ein Musiker ins Spiel). Alle Darsteller sind in geschlechtlich durcheinander gewirbelten Mehrfachrollen zu sehen. Salazars Moritat scheint Identitäten ja auch verwischen zu wollen, obwohl die Figuren zu Beginn prägnant vorgestellt, die Geschehnisse der vier Teile bei den Bildübergängen rekapituliert werden.

Ein gewisses Maß an irritierenden Handlungssprüngen und -verknotungen ist vom Text vorgegeben. Denn „Schreiben ist ein Selbstgespräch mit dem eigenen Herzen“, wie es der 1980 geborene Autor sympathisch formuliert. Da muss man also mit sich ins Reine kommen, und so etwas läuft kaum ohne Ecken und Kanten ab, geht nicht ohne gedankliche Abschweifungen vonstatten. Vielleicht ist das Stück auch nur ein verklausulierter Liebesbrief, denn es waren pubertäre Gefühle, welche bei Mario Salazar den Wunsch zum Schreiben erstmals auslösten.

Seine persönliche Suche nach einer greifbaren Ich-Kontur verteilt der Autor nun auf eine Vielzahl von Personen. Sie alle versuchen, Leben zu bewältigen, ihm einen tieferen Sinn zu geben und bei alledem glücklich zu werden. Zu den berührendsten Figuren Salazars gehören Janine und Steve. Sie haben ihren Sohn Joshua getötet, weil er in ihrem gemeinsamen Existenzkampf keine Überlebenschance gehabt hätte. Später erkennen sie die Verwundung, welche sie damit ihrem eigenen Herzen zugefügt haben. Steve streift ziellos durch New York, Janine bleibt kraftlos in Stendal zurück. Man hat Kontakt lediglich per Mail.

Auf dem Weg zum erhofften Glück sind die Personen des Stückes grundsätzlich nicht kleinlich mit ihren Mitteln, Gewaltbereitschaft und Sexhunger bilden die Konstanten. Einmontiert in die Verzweiflungsbiografien ist die kuriose Beziehung zweier alter Damen, Waltraut und Irmgard, die sich in vergangenen Jahren ein-und denselben Mann teilten und nun - leicht verspinnert - auf den 112. Geburtstag des Hundes Willi hinleben. Irmgard versinkt immer stärker in dementen Vorstellungen, glaubt einem völlig veralteten Dokument entnehmen zu müssen, dass sie als Jüdin demnächst vergast wird.

Die tiefere, über derart Groteskes hinausgehende Absicht seines Stückes erklärt Mario Salazar so: „Suche dir vier Gruppen und vier Orte mit Figuren, so weit wie möglich voneinander entfernt und bring sie irgendwie zusammen, irgendwann.“ Das „irgendwie“ prägt irgendwie auch den Text, in dem sich die Handlungsfäden manchmal ins Unkenntliche hinein verwirren, auch wenn der Kerngedanke nie ganz verloren geht. Immer wieder wird New York als Zielort vermeintlichen Glücks ins Visier genommen, wiederholt der „amerikanische Traum“ beschworen. Die Mehrfach-Mörderin Princesa gibt diese Sehnsucht auch nicht auf, als sie (Finalszene) von Gewehrsalven nahezu zerfetzt wird.

Bei aller Drastik der Wortwahl ist Die Welt mein Herz ein eher leises Stück. Die Inszenierung von Rafael Sanchez gibt sich hingegen laut, sogar sehr laut. An wirkungsvollen optischen Ideen mangelt es dem Regisseur nicht, aber seine Arbeit gibt sich über weite Strecken allzu schrill. Die Reaktionen des Premierenpublikums kamen nicht von ungefähr häufig einem Missverständnis gleich. Bei den Dialogen der alten Damen denkt man - schon wegen der Besetzung en travestie - an Charleys Tante oder Cage aux folles. Vielleicht hingen die Gedanken von Sanchez noch zu sehr an einer Kölner Einstandsarbeit, Michael Frayns Der nackte Wahnsinn. Klamottiges scheint in Köln derzeit ohnehin im Trend, denkt man weiter an Amerika nach Kafka (Regie: Moritz Sostmann).

Die Bühne von Depot 2 ist etwas kleiner als die von Depot 1, aber gleichfalls ein nicht unproblematischer Spielort, vor allem akustisch. Aber damit ist nun mal zu leben. Die Weite der Halle hat Sara Giancane immerhin für die weitläufigen Vorgänge von Die Welt mein Herz günstig genutzt und sie als sinnfällig beglaubigt. Und die problematische Inszenierung kann für sich positiv zumindest verbuchen, dass sie die Darsteller zu wahrhaft explosiven Leistungen animiert. In der Reihenfolge des Besetzungszettels sind gleichberechtigt zu nennen: Mohamed Achour, Nikolaus Benda, Niklas Kohrt. Nicola Gründel, Larissa Aimée Breidbach, Guido Lambrecht. Die Aufführung dauert rund zweieinhalb Stunden, es gibt keine Pause.