Übrigens …

Dantons Dilemma im Studiobühne Köln

Wildes Bilder-, Video- und Zitatenpuzzle

Der Titel „Dantons Dilemma“ lässt den unbedarften Theaterbesucher aufhorchen und sein Schulwissen herauskramen: Büchner, Jakob Lenz, französische Revolution, Willkürherrschaft statt ursprünglicher freiheitlicher Ideale. Ein historisches Dilemma oder eine aktuelle Version in unserer politischen Landschaft? Rasch kommen Assoziationen zur „Demokratie“ in Russland oder zu den aktuellen Vorgängen in der Ukraine. Man durfte gespannt sein.

Vier aggressive Revoluzzer (Janina Rudenska, Fiona Metscher, Martin Hohner und Matthias Hecht) locken die Zuschauer mit einem Schnaps und ihrem Lieblingssong ins kleine Theater, wirbeln eine Stunde in Sachen „Revolution der Gesellschaft“ vor einer weißen Wand aus 140 Pappkartons, die später eingerissen wird - wegen Erfolglosigkeit ihrer Bemühungen? Sie gibt den Blick frei auf eine hölzerne Guillotine, einen freihängenden Säbel, eine Art Thron und allerlei Müll der Zeitgeschichte. Spannend zu Anfang der Bild-unterstützte, fast herausgeschriene beklemmende Monolog zu den Missständen in unserer Gesellschaft, zu NSA und Ausbeutung in Kleiderfabriken, zu Raubbau an der Natur, zu afrikanischen Asylanten und Massentierhaltung. „Luxus im Champagner-Paradies ist nur möglich durch Ausbeuten anderer“. Das Grundgesetz wird zitiert, wonach der Mitmensch nicht beeinträchtigt werden darf, und dass der Staat den Bürgern maximale Lebensbedingungen schenken soll. Viele Allgemeinplätze, nichts Neues, alles in der Schule schon durchgekaut.

Man tanzt, kleidet sich höfisch, mimt die Upper Class, hampelt exzessiv zu wilder Musik und hängt ständig an der Champagnerflasche. Dazu ein buntes Gemisch aus Zitaten, Fragmenten, Fetzen und Worthülsen - gestammelt, geschrieen, sanft, erregt bis hin zum Affekt. Es erscheint – auch in phonetischer Hinsicht – schwierig, aus diesem Revolutionsgemisch einen schlüssigen Deutungsansatz herauszuhören, ohne mit der historischen, philosophischen und literarischen Materie dieser Zeit wirklich vertraut zu sein.

Plötzlich – kein Strom mehr da. Die Polit-Revoluzzer haben Zwangspause, diskutieren auf einmal über den Geschmack und das Schmelzen von Schokoladendrops im Munde; so ernst scheint die Revolution für sie wohl nicht zu sein? Eher eine ideologische Spielwiese mit intellektuellen Fingerübungen ?

Es scheint, dass eine Orientierung in unserer Gesellschaft gar nicht so einfach ist; haben zu viele Staatsrechtler und Philosophen in den letzten 200 Jahren den klaren Blick getrübt? Selbst ein wortgewaltiger Apell von George Danton, „Experte für angewandte Revolutionswissenschaften auf Lehramt“ und seine zu Rate gezogenen Aufzeichungen bringen die Suchenden nicht weiter. Und wenn sich gegen Ende ein „Morakel“ über Lautsprecher beklagt, dass jemand – vielleicht in Assoziation zum Drachen im Wagnerschen Ring des Nibelungen - „seine Kreise stört“, dann dominieren bei der Gruppe Unverständnis und Frust vollends. „Und jetzt ? Sollte man es vielleicht füttern?“ kommt als erste bange Frage. Ist unsere angebliche Demokratie am Ende, müssen wir resignieren oder ist da noch Luft nach oben?

Der Rezensent gesteht freimütig, dass seine Aufmerksamkeit gegen Ende schon etwas nachließ und es zunehmend schwer fiel, einen roten Faden oder ein Resümee des Spektakels unmittelbar zu erkennen. Auf der weißen Wand war immer wieder zu lesen : „Hedonism reloaded“ – Der Spaß ist zurück. Spaßig war es durchaus streckenweise, aber auch tiefsinnig und beklemmend. Jedoch ein zeitnahes Resümee für sich zu ziehen, dürfte zumindest einigen Zuschauern schwer gefallen sein, wie Gespräche bei der anschließenden Premierenfeier ergaben.

Das Bilder-, Video- und Zitatenpuzzle ist für einen „normal“ gebildeten Theaterbesucher nicht einfach aufzunehmen, wenngleich sich durchaus zunächst eine erhebliche Spannung und Bewunderung für die spielfreudigen Schauspieler eingestellt. Man müsste sich noch besser in der philosophischen und geschichtlichen Materie auskennen bzw. vorher informiert haben, dann hätte man vielleicht mehr verstanden.

Das Resümee am Schluss, dass eine Revolution aus der Tiefe des Universums nicht klappen kann und man alles daher so belassen soll, ist gar nicht so abwegig. Denn ein „Selbst“ existiere ohnehin nicht, es sei nur ein Modell, was im Gehirn erzeugt wird. Man ist nicht selbst, es existiert keine Seele, sondern nur die Angst vor dem Ende produziert den Glauben an das Jenseits. Nach und nach verkrümeln sich die Akteure, der letzte macht das Licht aus: „Die Menschen handeln nicht, sie reagieren bloß; alle gehen frustriert. Und für den Scheiß hier haben wir auch noch Eintritt bezahlt“.

Naja, so schlimm war es natürlich nicht. Es gab viele Anregungen, über die es sich lohnt zu Hause nachzulesen – oder noch mal in eine Vorstellung zu gehen. Vielleicht kommt dann die Erkenntnis, dass unsere Gesellschaft, unser Leben und unsere Welt doch nicht ganz so kaputt ist.